Warum Buster Keaton und ich Baustellen hassen

Ich wollte ursprünglich über das Provisorische, das Unsichere, den wackligen Boden reden. Über Baustellen, eher im Sinne der Dekonstruktion, anstatt der Konstruktion. Über Buster Keaton, den großartigsten und heroischsten aller Abbruchunternehmer, der bei bestem Willen, großer Menschlichkeit und stoischer Ruhe meist eine Spur der Zerstörung hinter sich lässt. „Mit Schwund musst rechnen“, wie wir in Bayern sagen. Ich wollte einige meiner eigenen Arbeiten, die sowohl konstruktiven Aufbau als auch Illusionsabbruch beinhalten, vermischen mit Loops aus Buster Keaton Filmen, vor allem „Go West“, „Steamboat Jim“ und „Das Boot“.
Das Verfallen der Illusion und das Einfallen von Fassaden sollten parallel aufgezeigt werden. Sie hätten die vierte Fotografie aus meiner Serie „Shining“ gesehen, eine Fotografie, in der die Auflösung einer gebauten Illusion evident wird; daneben projeziert den berühmten Fassadenfall aus „Steamboat Jim“. Eine Häuserfassade fällt direkt auf den, exakt in einer Fensteröffnung der gefallenen Fassade stehenden und deshalb unverletzten, Buster Keaton. Ein psychoanalytischer Megaevent. Eingerahmt von der Katastrophe hat er wieder einmal allem getrotzt.
Buster Keaton und ich sollten selbstverständlich während der gesamten Bild/Tonabfolge im Mittelpunkt stehen, Baustellen wären unser Bühnenbild geworden.
Ich wollte zeigen, dass Buster Keaton und ich hauptsächlich mit Nestbau beschäftigt sind, mit dem Aufbau von geschützten Orten: Nestwerke als Kunstwerke. Dass wir eigentlich auf der Suche nach Idyllen sind, was sich jedoch oft ins Desaströse wendet.
Hier hätte ich gerne anhand eines Querschnittes durch den Biberbau über Konstruktion und Zerstörung gesprochen. Dazu hätten Sie eine Parallelprojektion an der Wand gesehen: Ein Biber fällt einen Baum, Buster Keaton schwebt – festgeklammert – an einem entwurzelten Baum im Sturm durch eine Stadt. Hier hätten wir einen kleinen Exkurs gehört über die Eleganz der Zerstörung und die Mühsal der Konstruktion.

Doch das zu viele Licht ermöglicht keine Bilder, keine Projektionen… Sie versäumen deshalb einen kurzweiligen, unterhaltsamen Vortrag. So können wir nur ein kleines Kreisen über intellektuelle Konstruktionen vornehmen. Ohne Bilder ist alles komplizierter. Es ist für mich mühsam, mich nur textuell darzustellen. Die Offenheit der Bildmetapher ist für mich immer geheimnisvoller und spannender als die erzählerische Verführung. Busters und meine Libido werden durch Bilder befriedigt, auch wenn Adorno sagt, Künstler würden nicht sublimieren. Aber er irrt bisweilen.

Bevor wir etwas näher an Baustellen kommen, an Baustellen im metaphorischen Sinne, noch eine kleine Anmerkung warum ich Vorträge ohne Bilder nicht mag:
Mein Problem mit Texten ist immer die Parallelproduktion der Bilder dazu, d.h. jeder Text evoziert in meinem Kopf Bilder, also den Film zu Text.
Diesen Film am Text zu halten ist für mich die Schwierigkeit beim Lesen oder Zuhören. Buvard und Pecucher, vielleicht das schönste Buche der „Baustelle als Lebensform“, mögen bei Flaubert weiter scheitern, in meinem Film zum Text, der sich selbstständig gemacht hat, sind Sie schon längst erfolgreich biologisch-dynamische Bisonzüchter. Oft muss ich beim Lesen den Film zurückspulen, um wieder an den Text zu gelangen. Ich habe den Text zwar automatisch weitergelesen, erfasst habe ich ihn jedoch nur partiell, da alle geistige Energie beim Bau der Bilder hängen blieb. Mein Obsessionsstrang ist das Bild. Wahrscheinlich beruht die Differenz zwischen Bild und Text nur in der unterschiedlichen Geschwindigkeit der Verarbeitung in meinem Kopf. Ein Allgäuer katholisch-genetischer Textdeffekt.
Wie Sie sehen, bin ich immer noch nicht bei richtigen Baustellen, obwohl wir gerade eine Baustelle als Lebensform und den Bau eines Bildes gestreift hatten. Wir nähern uns also metaphorischen Baustellen. Die metaphorischen Baustellen sind meist Baustellen mit halbfertigen Plänen. Was in der Politik die Hölle wäre, nämlich „learning by doing“, phänomenologie-orientiertes Handeln oder Nachhaltigkeitsslosigkeit ist bei meinen metaphorischen Baustellen Teil einer bewussten Arbeitsmethode.

Ich führe Sie kurz auf eine intellektuelle Kleinbaustelle, und führe Ihnen ein kleines gedankliches Filmfragment vor: Ein im Nachhinein zusammengestellter kurzer Ausschnitt des Wachsens der Grundidee meiner Ausstellung „8,5 Zi-Wohnung…“ im Kunstverein Hannover 2001.

Der Bauplatz wurde mir damals von Stephan Berg zur Verfügung gestellt. Es beginnt die Vorbereitungsphase. In dieser Phase wird alles gesammelt was ich für dieses Projekt möglicherweise brauche. Auf mein Medium bezogen könnte man die Kleistmethode, „der allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden“, ersetzen durch die „allmähliche Verdichtung des Bildes beim Durchwandern meines Reservoirs“.
Ich baue ein Modell des Terrains. Während dem Bau des Modells entstehen intuitiv aus Ideen, Fragmenten und Bildern die ersten Strukturen der Ausstellung.
Langsam kristallisiert sich ein Bildbegriff heraus, im Falle von Hannover war es „Haus“: einerseits als Archetyp, d.h. vier Wände und Dach, andererseits „Elternhaus“. Damit war bereits die autobiographische Fährte, aber auch der Wunsch nach einem Sinnbild für eine ganze Generation gelegt. Die Entwicklung einer solchen Grundidee kann Minuten dauern, wenn’s schlecht läuft aber auch Tage und Wochen.
Ein Beispiel dieses horizontalen Gedankenbaugewebes, eine Art Rhizombaustelle, das mehr mit Ordnen des Baumaterials, denn mit Beginnen der Konstruktion zu tun hat, als Versuch einer sprachlichen Umsetzung:

(staccatoartig, schnell gesprochen)
Zimmer auf dem Kopf? /und/ verwende ich die alte Arbeit „Ich liebe Dich“? /und/ Wie löse ich die Übergänge von Raum zu Raum? Und Türen? Und Videos? Und Videos mit Türen? Keine kienholzsche Simulierung von Räumen! Muss distanziert und gleichzeitig metaphorisch sein. Kleine Türen als Demutsgeste wie im Projektraum Berlin und keine körperliche Verwicklung des Betrachters. Und keine avantgardistische Eventkultur à la Schneider. Knock, knock, knocking on heavens door.
Es muss banaler sein, undefinierbarer und dennoch irgendwie bekannt wie Pavese oder Joyce: /weiter/ come nebo me and suso sing the day we sallybright./ weiter/ Türen/ weiter/
Das mit den Türen ist gut: transitorisches Moment, Mediator zwischen zwei Zuständen, aber auch Bedrohung /weiter/ Come nebo me and suso sing the day we sallybright. Undefinierbar und zugleich bekannt /weiter/ Ausstellung als ein Rundgang mit vielen Türen. Eine Wohnung mit vielen Türen. /weiter/ Die Ausstellung als Wohnung mit vielen Türen. Türen für innen. Türen nach Außen. Viele kleine Türen: hinter diesen kleinen Türen: Bilder der Bedrohung. /weiter/ Videos: Jeder Trottel macht Videos. /weiter/ Keine black box! Footage verwenden und raus aus der Ausstellung nehmen. Nicht in den Rundgang stellen. Nicht die Räume mit Medienrealität kontaminieren.
Was passiert zwischen den Türen? Questionmark. Englisch lernen mit Philipp.
Was passiert zwischen den Türen? Klein und groß abwechseln, hell und dunkel, laut und leise. Ausstellung musikalisch organisieren. Entweder protestantisch konzeptuell oder katholisch-dramatisch. Beides nehmen!
Arbeitszimmer? /weiter/ Studienzimmer? /weiter/ Schreibtisch /weiter/ Bücherregal /weiter/ Globus? Bullshit/ Alles 80 Jahre. Oder eine riesige Landkarte an der Wand. Landkarte ist gut. Chefzimmer? Vater? Nicht noch mal: Bonner Kunstverein 1983. Mein Arbeitszimmer. Der Tisch von dem ich die Welt aus sehe. Kein Tisch: verbrauchte Form des letzten Jahrhunderts. Nur eine grosse Landkarte. Da alles drin. Knocking on heavens door. Die ganze Welt. Meine Welt.
Raum-Zeit Kontinuum. Morphische Resonanz. Hermetisch sein. Arno Schmidt. Das ultimative Chefzimmer. Nur kleine demokratische Revisionsluken zulassen. Omnipotenz. Meine Welt. Mich über die Welt stülpen. Hallo Freud. Ich kann nicht alles in eine Landkarte packen. Mein Chaos ordnen. Wie Baal beginnen: der aus den Wäldern kam.
Viele Landkarten. Mein Raum der Welt neben den „Ich-liebe-dich-Raum“stellen. Vom Zimmer in die ganze Welt. Gleicher Zugriff. Landkarten weg von der Wand. Zu klassisch, zu vatikanisch. Nein, vatikanisch gut. Von der Decke hängen, als großer Schlamassel. Ein Art Labyrinth. Ein Labyrinth im Raum. Ein doppeltes Labyrinth. Die Welt als Labyrinth im Landkartenraum als Labyrinth. Meine ganze Welt, alles was ich weiß. Das ist gut. Das ist the day we sallybright.

Solch ein Denkfragment dauert im Hirn ein paar Sekunden und wird ständig in neuen, anderen, sich ähnelnden Denkblitzen, die wenig variieren und die ich Ihnen jetzt erspare, wiederholt. Zusammengenommen ergeben viele solcher repetitiver Fragmente die baustellenhafte Annäherung an ein Ausstellungsobjekt. Bis kurz vor Schluss bleibt alles provisorisch da veränderlich.
Das Provisorische oder die Baustelle ist also nicht künstlerischer Mangel, eben alles nur ein bisschen zu können, und immer am Herumwerkeln zu sein, also ein „Grattler“ zu sein, wie wir in Bayern sagen, sondern es ist eher Arbeitsmethode.
Unabhängig von diesen produktionstechnischen Gedanken, werden wir uns gezwungenermaßen an das Provisorische gewöhnen müssen: von Rentenzusagen bis über Klimavorhersagen, von Kulturbudgetsabsagen bis Renditeaussagen. Aus unserem gemeinsam erstellten netten, deutschen Eigenheim der zweiten Hälfte des XX. Jahrhunderts ist eine Baustelle geworden, deren Umbau wahrscheinlich gar kein Ende haben wird. Die Baustelle ist der Status Quo geworden. Benjamins Passagenwerk als monumental-literarische Baustelle würde doch heute fast jeder dem fertigen Buch vorziehen: Die Präferenz für den Steinbruch anstatt für die Skulptur entstammt dem seltsamen postmodernen soziologischen Theoriemix der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts: ein Theoriemix, zu dem auch ich Analogien habe, obwohl ich auch heute noch die Skulptur gegenüber dem Steinbruch verteidigen würde.

Hätten wir weniger Licht und mehr Projektionen gehabt, hätte ich Ihnen anhand von Dias dennoch erklärt, warum Buster Keaton und ich Baustellen hassen und warum wir stattdessen Happy Ends lieben. Happy End ist die Erlösung von Transitorischen, vom Veränderlichen, vom Provisorischen.
Hätten wir weniger Licht gehabt und mehr Projektionen, hätte ich Ihnen zum Schluss dennoch kein Happy End geboten, sondern drei Fotos von Nachtbaustellen gezeigt, die der Tübinger Zoologe Hans Peters 1948 sowohl initiiert wie dokumentiert hat. Sie hätten ein normales Spinnennetz der heimischen Gartenkreuzspinne, ein Spinnennetz derselben unter Pervitineinfluss und schließlich eines unter Koffeineinfluss gesehen. Sie hätten eine wunderbare Abfolge einer dekonstruktivistischen Auflösung gesehen. Das Radnetz, nüchtern und symmetrisch gewoben, ist das Sinnbild der architektonischen Vollkommenheit, der fertige Bau. Die Spinnennetze jedoch, gewoben unter Einfluss von Stoffen, die auf die menschliche Psyche verändernd wirken, werden plötzlich ein Protokoll eines chaotischen Gemütszustandes, also etwas Zufälliges und Provisorisches. Eine Baustelle, die sich in der Konstruktion versponnen hat.
Um mit Gottfried Benn zu sprechen: Der Spinne sollte das Material kalt bleiben. Man baut nicht gut im emotionalisiertem Zustand. Nur Distanz zum eigenen Tun kontrolliert, führt und ermöglicht Unabhängigkeit.


Stephan Huber


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