DIE ALPEN
1992
München
Flughafen Muc II

Als ob sie der Anforderung permanenter Mobilität gehorchten, werden sie dadurch zu transportablen Zeichen, die sich, je nach Bedarf, an verschiedenen Orten einsetzen lassen. Mehr noch: der Sockel, gewöhnlich das statische Element, das die Skulptur verankert und verortet, erzeugt, mobil geworden, eine eigenständige Umgebung, die die bewegliche Skulptur wie im Schlepptau mit sich zu führen im Stande scheint, so als sei nun auch der Ort, an dem sich die Skulptur gewöhnlich befindet, als Versatzstück transportabel. Was die Ortserzeugung des hängenden Brunnens anbelangt, weist das Bergmotiv mit Wasserfall auf die Lage des Flughafens am Rande der Alpen. Die topographische Anspielung versucht im Nirwana der Ortlosigkeit, das besonders auf Flugplätzen herrscht, eine sinnfällige Orientierung zu stiften. Die Berggipfel bleiben zwar Bild, doch unterscheidet sich dessen Sinnfälligkeit von den abstrakten Zeichen, von den Buchstaben und Zahlen, die den Reisenden durch das Flughafengebäude leiten. Was die kulturhistorische Dimension des Brunnens anbelangt: Stephan Huber bezieht sich ausdrücklich auf den Barock. Zu den hervorstechendsten Architekturen des bayerischen Alpenvorlandes gehört neben dem fantastischen Historismus Ludwigs II. die barocke Architektur. Hubers Verweis auf den Barock mag zuerst verwundern, denn im Verzicht auf ausuferndes Beiwerk verweigert sich der hängende Brunnen jeder Art schwülstiger Rhetorik. Unkaschiert, kühl und sachlich dominiert die Konstruktion. Die Bändigung des Wassers und der Umgang mit der hängenden Masse besticht durch die Ökonomie der Konstruktion. Die hängenden Teile wiegen 1,5 Tonnen und scheinen doch zu schweben. Offensichtlich steht der Brunnen der konstruktivistischen und funktionalistischen Sprache der Flughafenarchitektur näher als barocker Überschwänglichkeit. Und doch lässt sich, nicht nur was die dekorative Sinnfälligkeit des hängenden Brunnens anbelangt, eine Beziehung zum Barock herstellen. Die Kontinuität des Barocken zeigt sich in einer letztlich unbarocken technoiden Form. Sie rührt am Prozess der Entortung und, im engen Zusammenhang damit, am-Prozess der Illusionierung. Die Rhetorik der Macht, welche die Künste im Barock entfalten, rankt sich um den zentralen Topos »Die Welt ist Schein«. Er findet in verschiedenen Metaphern seine Formulierung: Die Welt ist Bühne. Die Welt ist Theater. Das ganze Leben ist nur ein Traum. In ihrer üppigen Sinnlichkeit zielt barocke Kunst auf die Verführung der Sinne, um im Spiel mit Täuschungen die »Eitelkeit« - sprich Hinfälligkeit und Vergänglichkeit - alles »Irdischen« vorzuführen. Immer wieder versucht barocke Kunst, die Grenze zwischen Sein und Schein zu verwischen. In der Architektur etwa werden die Übergänge zwischen realer Architektur und Scheinarchitektur möglichst unkenntlich gemacht, so dass es dem Auge schwerfällt, die Illusionismen zu durchschauen.
  s/w druckerfreundlich

Fotos: D. Hinrichs