Ich liebe Dich
1983

München Lenbachhaus
Ausstellung: „aktuell `83, 21.9.1983-20.11.1983

Klein war der Raum – 8m lang, 6m breit und 4m hoch, nicht zu betreten und verdreht: die Decke mit Stuckrosette und Zierleite unten, darauf ein Charles-Eames-Bürosessel aus Edelstahl und schwarzer Bespannung, der braune Parkettfußboden rechts an der Wand mit einem Empire-Fauteuil in Rot und Gold, alles übrige weiß, und im Zentrum ein vielarmiger Kronleuchter, der zwei alternierend geschaltete Propeller in Schwingung versetzt. Durchaus in verschwenderisches Szenario voller historischer Reminiszenzen, kühl kalkulierten Kontrasten, perfekt und perfide in einem. Die Sitzmöbel wendeten sich einander zu, kommunizierten aber nur so, wie es Vertikale und Horizontale tun. Das optisch-kinetische Tableau dieses geordneten und verkehrten Interieurs bekam seinen Sinn freilich erst durch zwei Stimmen vom Tonband, deren Einsatz ein Spotlicht auf die jeweilige Sitzfläche gab. Die beiden Stühle redeten miteinander, oder besser: Sie sprachen aneinander vorbei, eine Frau und ein Mann. Folgte man den Worten, einer Mischung von Klischees und Betroffenheitsfloskeln, dann zeichneten sich auch hier landläufige Polarisierungen ab: Natur gegen Industrie, Dialog gegen Zurechtweisung, Moral gegen Leistung, Handwerk gegen Automatisierung, Aufklärung gegen Ideologie, Glück gegen Profit, Idylle gegen Perfektion, Seele gegen Bezahlung.
Mann: „Ich versteh Dich nicht. Waren wir uns nicht einig, die Moral auszuklammern. Und nun kommst du mir permanent moralisch. Soll das der letzte Rettungsring sein. Mein Gott, mach Dich frei von dem ganzen idealistischen Schrott. Sieh doch meine Leistung, Produktionsstätten und Flughäfen, Röhren voller Geschwindigkeit, Aufhebung der Zeit in der Automatisierung. Ruhige Gefühle. Freizeit als zentrales Arbeitsproblem. Planung und Psychatrie.“
Frau: „Du Narr. Gegeben habe ich Dir die Liebe. Das komfortable Wohnen, Boudoirs, Eisenträger in Form von korinthischen Säulen, die Idylle, das Glück. Genommen hast du den Profit. Du hast mich verdoppelt: Du brauchst mich und du tötest mich: Ich bin zur Hülle Deiner Seele geworden. Ich sage: Ich liebe dich, doch eigentlich sprichst Du mit meinen Lippen: Ich liebe mich“.
Regie führte bei diesem Disput zwischen Aggression und Eiseskälte der Zeitgeist der späten 70er und frühen 80er Jahre, der das sozialkritische Potential der vorangegangenen Generation theatralisch aufbereitete, jedes falsche Pathos vermied, damit eine kräftige Mischung aus Befindlichkeit und Kolportage, aber kein Drama in Szene setzend. Ein theatralisches Environment, vielleicht eines der überzeugendsten, weil schnörkellosesten im bisherigen Werklauf von Stephan Huber, von enormer Suggestionskraft, die nicht zuletzt aus der gelungenen Verschränkung des Evidenten mit dem Hintersinnigen resultierte.
Mir scheint, Stephan Huber hat mit Ich liebe Dich als einer der ersten den Prozeß einer durchgängigen Fiktionalisierung von Wirklichkeit prägnant gefasst und ohne moralischen Vorbehalt beleuchtet, ohne der Faszination des Retro, einer ebenso verblasenen wie geltungssüchtigen Ikonographie zu erliegen. Was das „Gespräch“ der beiden Möbel als total verdinglichten Individuen, dieser Austausch von Stereotypen unter wackelndem Kronleuchter, erhellt, ist die Erosion des kommunikativen Rückhalts einer gemeinsamen kulturellen und narrativen Praxis und die daraus resultierende Fragmentierung der einzelnen Subjekte und ihre psychischen Amputation. Stuck und Holz, Stahl und Gold, Leder und Seide, der Raum und das Licht und die Stimmen, das sachliche Pathos und die verbiesterte Aggression, das Paticcio und das Authentische – in solchen Gegensätzen markiert sich ein Terrain, auf dem alles möglich ist, nur Gefühle keinen Ort mehr finden. Ich liebe Dich ist ein komplexes Kunstwerk, das wie im Hohlspiegel die Stimmung des Sommers 1983 fokussiert und zur Gestalt zwingt.

Armin Zweite


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