Wolfgang Kaiser

„Lungenkranke sind merkwürdig“

Aliens im Außenraum

Text von Stephan Huber

„War es gestern, oder war es im vierten Stock?“ fragt Karl Valentin in einem seiner Stücke. Das Absurde und zugleich Surreale dieser Frage erinnert mich an Immendorffs „mal kurz den Bären reinhalten“, eine seiner frühen Aktionen am Ende der 60er Jahre: Ein kleiner Sperrholzbär war an einer langen Holzstange befestigt und wurde von Immendorff durch Düsseldorf getragen. Ab und zu wurde der Holzbär von oder in ein Fenster gehalten.

Auch Günther Sarees Trennung des Wortes „möglich“ aus dem Jahre 1969 (die erste Silbe „mög“ wurde in ein Geländer am Sendlinger Tor eingesprochen, die zweite Silbe „lich“ mit der Bundesbahn auf einem reservierten Sitzplatz von München nach Bonn geschickt) gehört zu diesen frühen konzeptuell – libertinären Arbeiten, die sich durch Aktion, Einfachheit, Schnelligkeit und subversive Sinnverschiebung auszeichneten.
Diese beispielhaft erwähnten Aktionen sind Vorläufer für Kaisers Eingriffe im Außenraum. Es gibt Ähnlichkeiten der Strategien: das Reagieren, das Kommentarhafte, das Temporäre, das Klandestine.
Kaisers hintersinniger Humor (eine schwäbische Form der Überlebensstrategie) prädestinieren ihn für reaktive Kommentare, die meist schnell und immer visuell umgesetzt werden. Es sind Kommentare zu scheinbar allem: dem Alexanderplatz, einer Bergkulisse bei Davos, einer Ecke des Leonrodplatzes in München, einem Strand in Kambodscha.

Dem ausgewählten Ort wird ein disparates Ereignis oder eine fremde Realität untergeschoben. Wie Aliens lasten diese Kommentare auf ihren Orten, bis sie davon wieder – durch Zerstörung oder Verwitterung – abfallen. Kaiser macht fremde Orte zu seiner künstlerischen Heimat, was meist niemand erfährt, da es ohne Vorankündigung, Genehmigung und Beteiligung geschieht. Seine Arbeiten sind subversiv im Witz, intelligent in der Verknüpfung und stoisch im Fortgang seiner interventionistischen Praxis (ein von mir gehasster Begriff, der jedoch seine Arbeit gut bezeichnet).

Mit seinen Innenraumarbeiten verhält es sich anders: Sie sind komplexer und autonomer, überschwänglicher im Material und trashiger in der Anmutung. Das Material seiner Eingriffe im Außenraum (z.B. Stelltäfelchen, Pappkiste, Fahnen) ist nur Fragment und bildet erst mit der Umgebung/dem Umfeld das Kunstwerk. Das Fragment (der materialisierte Kommentar) verbindet sich mit dem Umfeld zur neuen Realität. Es ist schlüssig, dass von diesen Eingriffen nur Fotografien übrig bleiben. Erst durch die Veröffentlichungen im Katalog (z.B. hier) fließen die Außenarbeiten in den Kunstkontext ein.

Manchmal ist die Sprache seiner Kunst distanziert-ironisch, dann scheint sie aus der Welt des Flaneurs zu entspringen. Manchmal ist die Sprache seiner Kunst sarkastisch, dann hat sie die Nähe zur valentinesken Situationskomik. Manchmal schlägt Zynismus durch, doch eher ein schwäbisch-komischer, der zum Lachen befreit.
Immer jedoch sind Kaisers Arbeiten mit großer Selbstverständlichkeit am falschen Ort und zur falschen Zeit anwesend. Bad Kissingen in Vietnam, Malta auf der verschneiten Kampenwand, ein Foto des kleinen Kaiser verkleidet als Mohr am Strand von Kambodscha.

Wolfgang Kaiser liebt die Irritationen, die durch diese Kontextverschiebungen entstehen. An diesen Störungen der Normalität arbeitet er mit allergrößter querdenkerischer Lust (vermute ich). Dies ist untypisch für einen Schwaben, denn Schwaben hassen Verwerfungen des Status Quo (hier wäre höchstens zu befürchten, dass er durch seine vielen Reisen bereits zum Kosmopoliten geworden ist, aber da Arnold Stadlers „Ein hinreißender Schrotthändler“ zu seinen Lieblingsbüchern gehört, glaube ich nicht daran).


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