While My Guitar Gently Weeps
von Stephan Huber

Traurig ist die Videoinstallation “Headbanging”: der immer gleiche Loop des kopfkreisenden, haareschleudernden Menschen wird zum obsessiven Derwisch. Reduzierte Bewegung und monotone, minimalistische Musik verstärken sich: stundenlang, tagelang, jahrelang.
Diese perpetuierende Attitüde ohne Hoffnung auf ein Ende evoziert ein Gefühl des Gefangenseins in der Bewegung. Der Loop als Zeitvernichtungsmaschine. Der Loop als Stein des Sisyphos. Der Loop als Bühne der Eintänzerin.
„… I look from the wings at the play you are staging, while my guitar gently weeps…” Melancholie durchzieht immer wieder Wolfang Stehles Werk: so in dem bewegenden Managablick in die Kamera. So in der Ohrenmetamorphose eines Hundes, dessen aurales Formgeschwür ständig auftaucht und verschwindet. So im einminütigen Altern, dargestellt an seiner eigenen Person, durch das Auslaufen der Haarfarbe übers Gesicht.
„…as I’m sitting here, doing nothing but aging, still my guitar gently weeps…“
Doch seine Melancholie ist an eine surreale Poesie, an eine überraschende Selbstinronie, an eine konzeptuelle Defensive gekoppelt: das befreit sie aus dem individuell Misanthrophischen und führt sie hin zum kollektiv Erfahrenen.
In seinem Werk „Office Hours“, ein Bürohybride als Projekt im Fortgang, geht er Beschäftigungen nach, die zwischen Fremdverwaltung und Selbstorganisation pendeln. Banal-absurde Formulare mit dafür entwickelten Bearbeitungsobsessionen, valentineske metaprofessionelle Beschilderungen, konstruktiv-skulpturale Manierismen führen diese maßstabverschobene Raumskulptur weg von der elaborierten Kinderpost, hin zu kafkaesken Monstrositäten, hin zu Brazil’schen bürokratischen Exzessen, ohne jedoch dernen atmosphärische Düsternis und Bedrohlichkeit zu verinnerlichen. Nein, ich denke, es handelt sich um die (computerlose) Aufrechterhaltung eines (ersten) Spiels, die (existenzielle Aufrechterhaltung einer Beschäftigung, die Aufrechterhaltung der Ordnung – um, in und mit sich selbst – als Lebensinhalt. Die Rettung vor dem Nichts.
„.. while my guitar gently weeps, I look at the floor and I see it needs sweeping, still my guitar gently weeps…“
Das Büro ist Wolfgang Stehles Bühne: er genießt seinen Auftritt. Er ist sein eigener Lieblingsprotagonist und gleichzeitig sein eigenes Werkstück. Er ist ein Luftgitarrist der Dienstleistung. Die „Office Hours“ werden zum intellektuellen Headbanging: stundenlang, tagelang, wochenlang. Er hat Songtext gegen Formular und Gitarre gegen Bohrmaschine vertauscht. Aus Popmusikvolten werden Skulpturapplikationen. Aus Gitarrensoli neue Tischlerplattenanbauten. Aus dem Waah-Waah Zimmerpflanzen und aus der Backgroundsängerin der separate Platz für die Sekretärin. An den Wänden statt goldener Schallplatten Stipendiumsurkunden und DAAD-Formulare. „Office Hours“ ist sein Psychomuster auf unserem Gesellschaftsgrund.
Ornamente sind Wolfgang Stehles Spielbein und Standbein. Spielbein sind die Zeichnungen, in denen Zufallsmuster auf Papiergrund wie Regentropfen oder Zigarettenrauch Gesichter umzeichnen, Wasser zu pop-affinen Formen verläuft, Haare, Sterne und Spinnennetzspaghetti zwischen Formlust und hintergründiger Bedeutungsverschiebung tanzen.
„…I look at the world and I notice, it’s turning, while my guitar gently weeps…“
Die Zeichnungen markieren den heitersten Teil in Wolfgang Stehles Werk. In Leichtigkeit befreit er sich aus seinem Skeptizismus und seinem Wissensfundus: unmittelbar, eben dem Medium inhärent, setzt er sie auf kleine Blätter. Intuitiv-intellektuelle Fingerübungen in großer Menge, ich nehme an: verschmitzt und lächelnd.
Standbein seiner neueren Installationen sind die ornamentalen Tapeten. Als expansives Allover fassen sie die Räume und führen weiter in die Unendlichkeit der gedachten Welt. Die Muster auf den Wandflächen bestehen zumeist aus abstrahierten Blättern oder Bäumen, poetisch konnotiert, aber formal der Computergraphik entnommen. In diesen Arbeiten wachsen die Skulpturen aus den Ornamenten, greifen deren Ordnung auf und brechen sie im selben Moment, um eine eigene skulpturale Präsenz zu erzeugen. Sie ergeben wie in „The Hair and Skin Trading Company“ eine poetisch aufgeladene Synthese. Konstruiert aus dem Formenvorrat der Jetztzeit, sind sie jedoch eher an den Traumwelten der Jugendzeit orientiert. „General Aviation“, „Baumkrone“, „Budenzauber“, „Wildwood“ erinnern mich an Stimmungen aus Truman Capotes „Grasharfe“ oder Alain-Fournies „Der große Meauless“. Eine Art Konstruktion von Heimweh: Baumhäuser der Erinnerung, Schatzkisten voller Bilder und Gerüche. Eine wehmütige, weiche, wundervolle Form der Erkenntnis.
“…I look at you all, see the love there, thats sleeping, still my guitar gently weeps…”
In “Silberwals” entwickelt sich aus dem grünen Tapetenwaldmuster ein Brückengebilde, das auch Arbeitsplatz wird. Die Metapher seines Arbeitsplatzes. Ein Arbeitsplatz, der als Brücke in die Welt der Phantasmagorien und Sehnsüchte zurückführt, in die Blauen-Blumen-Wälder voller Skulpturen: Hochbaumspannungsmasten, Schnittrestholzhütten oder Lastklappschachtelwägen. Es ist ein Arbeitsplatz für einen leisen Künstler und einen sensiblen Skeptiker. Ein Künstler, der weder inhaltlichen Provokationen noch formale Sensationen braucht, um sein Wer, - das Abhängigkeiten von Kunstformen und Ichnarration auslotet, das Idyllen und Brüchigkeit synthetisiert, das mit Metaphern jongliert – als idealistische Behauptung in die Welt zu stellen. Wäre er Musiker geblieben, wäre er heute Songwriter. Stücke voller Melancholie, mit komplexem Aufbau, leicht dissonant gesungen, aber kompromisslos im Vortrag.
„…Oh Oh Oh Yeah Yeah Yeah…”


Seite drucken