Handeln und gestalten im öffentlichen Raum
Projekte aus dem Kunstunterricht

Ausschnitt aus dem Interview

„Ich liebe Katastrophen“

Ein Gespräch zwischen Stephan Huber, Professor für Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in München, und Johanna Stark, MFA, Assistentin am Lehrstuhl für Kunstpädagogik an der Akademie der Bildenden Künste in München und Kunstlehrerin am Gymnasium.

S: Vor dem Hintergrund Ihrer jahrelangen Erfahrungen im künstlerischen Arbeiten im Außenraum interessiert uns, welche Strategien oder Prinzipien Sie im Umgang mit dem öffentlichen Raum verfolgen oder verfolgt haben, ob es eine Entwicklung in Ihren Arbeiten gab und Sie eine Botschaft vermitteln wollen.

H: Für mich ist ein ganz zentraler Unterschied zwischen öffentlichem und musealem Raum, der museale Raum richtet sich an Spezialisten, die diskursfähig sind, was die zeitgenössische Kunst betrifft. Der öffentliche Raum richtet sich dagegen eher an das soziale Ganze, also an alle Menschen, die nicht unbedingt diskursfähig sind oder sein wollen bezogen auf die zeitgenössische Kunst. Deswegen war immer meine Vorstellung, dass die Arbeiten im öffentlichen Raum eine klare Bildsprache und eine klare Lesbarkeit in sich tragen müssen, also dass über die Bildsprache und die Lesbarkeit eine Akzeptanz oder, was viel wichtiger ist, eine Identifikationsmöglichkeit entsteht, das wäre der Unterschied.

S: Sehen Sie in Ihrer Arbeit als Künstler eine Entwicklung von den 80ern bis heute?

H: Natürlich gibt es eine Entwicklung, also das Werk verdichtet sich und wahrscheinlich werden die Arbeiten für diesen musealen Kontext oder für den Galerienkontext komplexer, hermetischer, mehr auf mich selbst bezogen. Ich arbeite vielmehr übermeine Herkunft, über bestimmte Sozialisationsfaktoren. Im öffentlichen Raum ist es etwas ganz anderes, da versuche ich einfache Bilder zu erstellen, die ganz viel mit dem Kontext zu tun haben. Ich lehne es vollkommen ab, irgendwelche abstrakten Skulpturen in den öffentlichen Raum zu stellen, oder „drop-sculptures“ irgendwo hinzustellen, die vollkommen austauschbar sind. Ich bin der Meinung, dass es einen genuis loci gibt, inhaltlich wie formal, dass Arbeiten im öffentlichen Raum im besten Fall den Ort neu definieren oder neue Hinweise zum Ort geben, dass sich Arbeiten im öffentlichen Raum immer mit dem Ort auseinander zu setzen haben, ansonsten ist Kunst im öffentlichen Raum vollkommen sinnlos.

S: Über Sie wurde geschrieben, dass der Ortsbezug Ihrer Installationen im öffentlichen Raum auch immer eine eigenständige Behauptung enthalten, um nicht nur im Sinne einer Negation oder einer Hyperaffirmation zu fungieren.

H: Das kann ich nicht so verallgemeinern, es gibt Negation, es gibt Hyperaffirmation, es gibt Arbeiten, die sich von der Folie der Architektur abheben, weil die Architektur sehr hässlich ist, aber es sind immer Arbeiten, die diesen Ort definieren. Als Beispiel darf ich die große Arbeit an der Messe nennen, die Architektur ist belanglos, die Architektur ist austauschbar, die Architektur könnte in Barcelona, in Catania oder in Athen sein.
Das ist eine sehr metaphorische Arbeit, die aber wiederum den Inhalt des Gebäudes aufnimmt und der Inhalt des Gebäudes sind ja nun die Menschen, die dort arbeiten. Und denen kann ein Bild die Möglichkeit zur Identifikation geben. Warum Kunst im öffentlichen Raum heute so bedeutungsvoll geworden ist, das hat sicher auch damit zu tun, dass eine Architektur vollkommen globalisiert worden ist, dass sich ein Fabrikgebäude nicht mehr von einem Bankgebäude nicht mehr von einer Kirche und nicht mehr von einem Wohnhaus unterscheidet, dass eher die Kunst dazu in der Lage ist, diese Trennung zu thematisieren. Ich finde diese Trennung extrem wichtig, also dass auch Gebäude, Orte oder Situationen das bezeichnen, was sie eigentlich bedeuten.

S: In Ihren Werken kommen immer wieder bestimmte Themen vor, so zum Beispiel Mauern, Wände, Türen. Was fasziniert Sie an diesen Themen?

H: Es sind im selben Moment Sperren wie Öffnungen, es sind transitorische oder mediatorische Zustände, gerade Türen sind sehr mediatorische Zustände. Im Durchschreiten von einer Türe betrete ich eine andere psychische Situation und das ist das, was mich immer interessiert: Türen haben immer was mit Überraschung zu tun, Mauern sind bei mir nie geschlossen, sondern vom Prinzip immer transluzide oder diafan, also ich sehe und spüre auch immer, was hinter der Mauer ist, insofern fungieren sie auch als geistige Paravents.

S: Und dann interessiert Sie ja auch noch das Thema Monumentalität.

H: Monumentalität wäre eine Methode. Von meiner Struktur her neige ich zur Monumentalität – ich mag Großes, also es ist eher so ein amerikanischer Begriff der Realisierungswucht. Das hat mit Vorlieben zu tun und mit Interesse: Wie bildet sich eine Person als Künstle, was sind seine Vorlieben, meine Vorlieben wäre das Monumentale, die Wucht der Realisierung. Eine zweite Vorlieb ist das Erzählen von Geschichten, also dieses narrative Moment. Die dritte Vorliebe ist die Nichtunterscheidbarkeit im Regionalen, also dieser regionale Aspekt, ohne provinziell zu sein. Es gibt viele Vorlieben, Monumentalität wäre eine künstlerische Methode, man könnte sie auch als Vorliebe bezeichnen.

S: Da Sie aus dem ländlichen Allgäu stammen, haben Sie in Ihrer Kindheit wahrscheinlich eine eher konservative Gesellschaftsstruktur erlebt. Jedoch werden heutzutage viele Jugendliche mit verunsichernden oder chaotischen Strukturen konfrontiert, da wir einem tief greifenden gesellschaftlichen Wandel unterliegen. So sind auch in der Schule viele Schülerinnen und Schüler vermehrt orientierungslos und verunsichert. Vergleicht man diese Ausgangsbedingungen mit der eines Kindes, das vor dreißig Jahren auf dem Land aufgewachsen ist, gibt es Unterschiede. Hat der Verlust gesellschaftlicher Orientierung, der auch unter dem Einfluss der Globalisierung zu bewerten ist, sich auf Ihre künstlerische Entwicklung ausgewirkt? Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang Ihre Arbeiten, die Katastrophen oder Irritationen von Ordnungen thematisieren?

H: Ich liebe Katastrophen, Katastrophen sind hochgradig psychisch erregte Zustände und immer auch Metaphern für Veränderung, für Unsicherheit, um die Welt auf den Kopf zu stellen. Katastrophen haben im Kontext der Kunst gesprochen was Surreales. Für mich gibt es zwei wichtige Kunstrichtungen im 20. Jahrhundert: Das eine ist der Minimalismus und das andere ist der Surrealismus. Surrealismus wäre sozusagen die intellektuelle psychoanalytische Methode in der Kunst, belgischer Surrealismus, bestimmt französische Surrealisten und die Gruppe um Breton. Minimalismus wäre die Wucht in der Realisierung und irgendwo befinde ich mich zwischen diesen zwei Kunstrichtungen, die im ersten Moment scheinbar nicht zusammengehen. Soweit zu Katastrophen. Ich glaube, dass die Welt heute überhaupt kein Chaos mehr ist, zumindest hier in der so genannten „ersten Welt“, sondern eine petrifizierten Langweile und ich glaube, dass meine Biografie aus einer intakten bürgerlichen Familie und aus einer intakten Landschaft mit klaren Werten und Normen durch dieses Geschoss der „vor 68er“ und in der „68er-Zeit“ in ein absolutes, produktives Chaos umgedreht wurde. Wenn ich meine Kinder heute anschaue, da herrscht Verunsicherung unter welchen Labels irgendwelche Geschmacksentscheidungen getroffen werden, adidas, Puma oder Nike. Ich glaube, dass unser damaliges Chaos, die Abkehr von traditionellen Familienstrukturen, entscheidend mit 1968 zutun hatte. Die Hinterfragung der bis dahin gelehrten konservativen Werte brachte ein enormes Gefühlschaos mit sich. Heute ist – zumindest in Städten – die Nähe der Kinder zu den Eltern viel größer, weil diese viel gelassener geworden sind. Bestimmte Themen wie Sexualität werden einfach mit den Eltern besprochen, was vollkommen undenkbar in meiner Zeit gewesen wäre.

S: Ich spreche von Orientierungslosigkeit, weil ich viele Schülerinnen und Schüler unterrichte, die Abitur machen, und viele davon wissen nicht, welchen Beruf sie ergreifen wollen und sich auch nicht trauen würden, Risiken wie z.B. ein Kunststudium einzugehen.

H: Das ist eine soziale Frage. Wenn es ein Chaos gibt, dann ein ökonomisches, verursacht durch die Globalisierung. Es gibt weniger Arbeitsplätze hier, weil die verlagert werden. Es gibt im Prinzip weniger Steuern, weniger Lehrer, es gibt geringere Beschäftigungsmöglichkeiten. Das Chaos, das ich vorhin angesprochen habe, war ein produktives Chaos, durch das unheimlich viel freigesetzt wurde. Die soziale Auslese ist heute stärker, das verstärkt die soziale Frage und beschreibt ein negativ wirkendes Chaos. Damals herrschte die Vorstellung, uns gehört die Welt und wir werden die Welt radikal und fundamental verändern, und ich glaube, diese Vorstellung hat heute niemand mehr, sondern es geht darum, wie schlängele ich mich durch.

S: Der Kunstkritiker Heinz Schütz hat Ihre Arbeiten zwischen dem Barocken und dem aufklärerischen brechtschen Prinzip angesiedelt. Welches Prinzip ist heute für Sie vorherrschend – der Mensch als Spielball oder als utopischer Veränderer? Treffen diese Gegensätze noch auf Sie zu?

H: Das sind zwei Teile eines komplexen Systems. Was ich nicht mag, ist eine platte Politisierung in der Kunst, weil ich grundsätzlich davon ausgehe, dass bildende Kunst allein durch ihr Dasein schon politisch ist, allein deshalb, da sie sich sozusagen aus dem gesellschaftlichen Verwertungszwang herausnimmt. In der ästhetischen Theorie von Adorno steht der Satz „Kunst ist eine der Realität abgedungene Untat“, d.h. Kunst ist nicht ökonomisch subsumierbar und dies in einer Gesellschaft, die von den Medien bis zur Industrie absolut ökonomisch durchrationalisiert ist. Kunst ist ein Störkörper, sie hat etwas Anarchistisches, sodass allein durch das Dasein der Kunst Politisches in ihr liegt. Ich glaube nicht, dass dazu noch viel mehr gesagt werden muss. Wenn Kunst tagespolitische Themen aufgreift, wird die Kunst immer schwach. In anderen Medien, Flugblätter oder Bücher, lässt sich das viel besser ausdrücken. Zum Beispiel Skulpturen zu Vernichtungslagern, zu Konzentrationslagern, lehne ich radikal ab, weil jede Form der Ästhetisierung dazu falsch ist.

S: In dem schon genannten Projekt aus Hersbruck haben Jugendliche eine Aktion mit dem Sand aus der Grube, in der die KZ-Häftlinge gearbeitet haben, in der Stadt durchgeführt und konnten auf diese Weise ein künstlerisches Objekt vermeiden.

H: Das finde ich auch in Ordnung, bei Schülern mache ich auch einen Unterschied. Das ist weniger künstlerische zu sehen, sondern stärker pädagogisch. Allein in dem Moment, wenn sich Schüler damit beschäftigen, wird ungeheuer viel an Betroffenheit, an Geschichte in ihnen freigesetzt. Aber ich bin gegen Ablassskulpturen in KZs, wenn das schlechte Gewissen in die Skulptur wandert und man sich damit eigentlich freikauft. Diese Unglaublichkeit und diese Vorstellung, was ja nun in der Geschichte ganz selten vorkam, dass ein Volk oder die Führung eines Volkes versucht, konzeptuell ein anderes auszulöschen, das sollte man ruhig mal so stehen lassen, ohne es in irgendeiner Form zu metaphorisieren. Ich finde das ist in Ordnung, wenn diese Tragödie nicht in Griff gekriegt wird.

S: Sie haben auch eine Arbeit in einer Schule in New York durchgeführt Können Sie diese s Projekt erläutern?

H: Es war eine Ausstellung damals am P.S.1, Institute for Art and Urban Resources, an dem ich ein Stipendium hatte. Eine alte Grundschule, die Künstlerateliers waren Klassenzimmer und ich hatte versucht, eine relativ düstere Stimmung in einem Klassenzimmer nachzubauen und in drei Variationen durchzuspielen. Es war wahrscheinlich eine Arbeit, die sehr persönlich geprägt war und die die eigene Vergangenheit in der Schule noch mal aufgearbeitet hat. Ich habe die Schule gehasst. Deswegen habe ich einen großen Bezug zu Kunsterziehern, weil mich immer Kunsterzieher gerettet haben. Es ist tragisch, dass Fächer, wie Kunst oder Musik zu Pufferfächern werden, es sind die Fächer in denen Kreativität freigesetzt wird, was einen Menschen nun wirklich verändert oder von anderen Menschen unterscheidet. Es ist tragisch, dass diese Fächer in Deutschland immer stärker beschnitten werden. Und es kommt nicht von ungefähr, dass Finnland, das Land, das in der PISA-Studie erfolgreich war, überdurchschnittlich viel Kunst- und Musikunterricht anbietet. Es scheint eine typische deutsche Radikallösung zu sein.

S: … unter der viele Kunstpädagoginnen und –pädagogen im Moment leiden. Die Einführung des G8 hat unglücklicherweise auch die Abschaffung des Leistungskurses Kunst am Gymnasium in Bayern zur Folge.
Wenn Kunstlehrkräfte versuche, Projekte zu realisieren, die über das Schulgeländer hinausreichen, wie etwas „transform2: community“ – wie beurteilen Sie dieses anspruchsvolle Vorgehen von Kunstpädagoginnen und –pädagogen?

H: Prima, damit habe kein Problem, Ein Kunsterzieher ist ein Kunsterzieher und ein freier Künstler ist ein freier Künstler. Es sind zwei verschiedene Arbeitsbereiche, beide haben die gleiche Bedeutung. Ich mache keinen hierarchischen Unterschied.

S: Welche Ratschläge könnten Sie Schülern oder Lehrern konkret geben, wenn sich diese an solche Projekte wagen? Oder welche Utopien hätten Sie, wenn Sie heutzutage an Schulen denken?

H: Das Ideal wäre immer die individuelle Person und vom Prinzip wäre das auf einer einfacheren Ebene das Gleiche, was ich meinen Studenten immer versuche zu vermitteln: Es ist mir völlig gleich, was du machst, es soll gut sein und es soll mit dir zu tun haben. Wahrscheinlich bin ich da noch so ein Anhänger der Reformpädagogik, denn das Ziel ist für mich immer, den Menschen, den jungen Menschen zu sich selbst zu bringen, also einen Eigensinn und eine Unterschiedenheit zu entwickeln. Wenn ich noch mal auf Adorno komme, so hat er ein Kommunikationsmodell formuliert mit drei Worten: mitteilenswerte Erfahrung, Unabhängigkeit und Freiheit im Ausdruck. Das wäre ein pädagogisches Ziel. Mitteilenswerte Erfahrung entsteht dann, wenn ich mir über mein eigenes Leben, über meine eigene Geschichte klar bin und sozusagen Unterschiede zu anderen mitteilen kann. Freiheit im Ausdruck entsteht dann aus der mitteilenswerten Erfahrung, wenn ich eine Begrifflichkeit über die Form entwickle, sei es in der Sprache, sei es in der Kunst. Und Unabhängigkeit, möglicherweise der wichtigste der drei Begriffe, entsteht im Hinterfragen von jedem Gruppenzwang, der heute ganz stark wirkt. Die Entwicklung zu sich des Schülers zu sich selbst oder des Studenten zu sich selbst, also wäre die idealistischeVorstellung.



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