|
Denkbilder
Zu Stephan Hubers Werk
1981 hat Stephan Huber eine knappe und strenge Installation gemacht, die den gewitzten Titel trägt „Der/Die/Das Schlauheit/Widerstand und Ich bin ein Flieger“. Huber selbst beschreibt seine Arbeit ebenso lapidar wie nüchtern, gibt gleichsam eine Regieanweisung: “An der Frontseite eines ein Meter sechzig hohen Eisenkastens befinden sich zwei Hörer. Über dem Kasten hängen drei Photographien, die gegeneinander abgewinkelt sind. Die mittlere Photographie weist im rechten unteren Eck eine kleine rote plastische Erhöhung auf. Bei der Abnahme der Hörer schaltet sich automatisch ein Text ein. Der auf die rechte Photographie bezogene Text ertönt im rechten Hörer, der auf die linke Photographie bezogene Text ertönt im linken Hörer, der Text über die mittlere Photographie läuft über beide Hörer ab. Der rechte und linke Text ist jeweils von einer Frau gesprochen, der mittlere von einem Mann.“ Schon diese parataktische Satzfolge ist für Huber charakteristisch; verrät der inventarisierende Duktus doch Distanz und erinnert an Brechts lakonische Syntax. An Brecht gemahnt auch der konterkarierend mehrdeutige Titel, der die List der Vernunft mitten im Herz der Phantasie ansiedelt.
Das ist programmatisches Kalkül, wie die Installation selbst zeigt. Kühl und technisch perfektioniert verschränkt sie verschiedene Reproduktionsmedien, die das Pathos einer fast hieratisch wirkenden, zentrierten Komposition unterspielen.
Nicht umsonst hat Huber den Fotos die feierliche Form eines Triptychons, eines Klappaltars gegeben, der freilich Träger eines profanen Motivs ist: In der Mitte figuriert eine abstrakte, konstruktivistisch inspirierte Projektion, flankiert vom Fotoausschnitt einer Menschenmasse und der Luftaufnahme einer Fabrik. Arbeiter, Produktionsstätte und rationales Planungsbild verweisen auf einen inhaltlichen Zusammenhang, der indes durch die beiden simultanen Textbänder paradox durchkreuzt, ja entstellt scheint. Der gesprochene Text nennt die Fototitel. Die Menschenmasse heißt „Das Museum“, das abstrakte Bild „Der Formalismus“, die Fabrik „Ich bin der Flieger“. Wie die Texte insgesamt zeigen, geht es Huber hier nicht um eine Illustration der Arbeitswelt, sondern um das kritische Verhältnis von Bild, Sprache und Wirklichkeit. Dabei paraphrasiert er im Bild formal und inhaltlich eine Montagetechnik, die von der russischen Revolutionskunst geprägt ist, während er in den Texten disparate Wörter und Sätze assoziativ, aber keineswegs willkürlich, ineinanderblendet, dabei das anachronistische Verhältnis Museum/Arbeitswelt umkreisend. Erst die komplementäre Struktur von Bild und Wort erschließt den semantischen Gehalt der Arbeit, in der sich Reales und Fiktionales immer wieder verkehren. Es geht zuletzt um Kunst, um eine zugleich selbstreflexive und operative Kunst, die hier wie eine stillgestellte Filmsequenz Alexander Kluges wirkt. Hier wie dort stand Eisensteins Schnittechnik Pate. Freilich bleibt dessen sinnliche Bildpräsenz unerreicht. Die revolutionäre Aufbruchphase und ihr Pathos sind historisch geworden, Bild und Wort scheinen wie bei Hans Haake und Jochen Gerz aseptischer und konzeptueller, dabei die passive, die einfühlende Kontemplationsfähigkeit des Betrachters stimulierend. Damals hoffte Huber nicht mehr auf eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft, für die er sich im Gefolge von 1968 noch praktisch eingesetzt hatte, ohne freilich Kunst und Politik zu verwechseln. Als paradoxer Zufluchtsort figuriert jetzt das Museum, das gerade in der Moderne immer wieder infrage gestellt und zuletzt bestätigt worden war: Hier allein kann sich die subversive Strategie des Künstlers noch entfalten, freilich um den Preis der Exilierung. „Raus aus dem Exil“ bleibt für Huber eine durchschaute Wunschvorstellung, wo die soziale Wirkung von Kunst marginal geworden ist. In seiner großen Installation „Der Künstler, der Sammler und das Museum Das Mehl“ (1980) hat er diese Randposition als gleichsam antarktische Überlebensstation inszeniert, dabei die Verwandlung von Mehl in Brot wie eine profane Transsubstantiationsmetapher nutzend. Im Zeichen der roten Fahne Kunstnahrung für den Betrachter. Mit anderen Worten: Wo die Realität keinen Widerpart mehr bildet, ist es der Satz, die Metapher, das Bild, die eine widerständige und widerspenstige Vernunft bewahren und wie im Fluge mitteilen.
Der alte, der Phantasie verschwisterte Traum vom Fliegen, die kontrollierte Schwerelosigkeit ist dabei für Huber noch Inbegriff einer Freiheit, die sich den Gravitationskräften der Wirklichkeit widersetzt. „Schwebezustand I“ (1982) eine gebastelte Kamera mit Modellflugzeugmotor, die den Schattenriß eines Flugzeugs auf die Wand wirft, ist dafür ebenso charakteristisch wie „Fliegen und Ratten“ (1982), die der bösen Politikerrede von Künstlern als „Ratten“ und „Schmeißfliegen“ leichtfüßig Hohn sprechen. In der Rolle des listigen Odysseus, oder, Huber näher liegend, wie Maos „Fisch im Wasser“ spielt er in Wort und Bild mit der semantischen Mehrdeutigkeit, eine Strategie der Affirmation ironisch bewährend. Wort und Bild werden zur Kenntlichkeit entstellt. Aus der einstigen Stadtguerilla ist eine Museumsguerilla geworden, die ein aufklärendes, imaginatives Bild der Wirklichkeit entwirft. Dabei liegt Huber Didaktisches fern; seine bildnerische Intelligenz und ein spielerischer Zug bewahren ihn davor. Illusionsloser als andere hat er am Eigensinn der Kunst festgehalten und sie gerade dadurch subversiv wirken lassen.
Ein Leitmotiv in Hubers Werk ist immer wieder das Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit einerseits, das Darstellungs- und Funktionsproblem der Kunst andererseits. Wenn er dabei beide Bereiche, das gegenständliche Motiv und seine zugleich lakonische und komplexe Darstellung, als Widerspruch, als dialektische Struktur in seine Arbeit aufnimmt, so zeigt sich seine Prägung durch die politische und ästhetische Diskussion der frühen siebziger Jahre: „Der Schrank“ (1978) zeichnet die entsprechenden Stationen auf. Er figuriert zugleich als zeitgeschichtliches Inventar und autobiographische Spurensicherung, paraphrasiert die Kunstsprache der siebziger Jahre und versichert sie seiner Komplizenschaft ein materiales Manifest, dessen Motto „Identifikation Veränderung“ für Huber insgesamt gelten könnte.
Freilich, zeichnen sich die frühen Werke noch durch das aus, was Walter Benjamin einmal „linke Askese“ genannt hat, so ist die Serie seiner „Arbeiten im Reichtum“ (1983) zugleich opulenter und strukturell einfacher: So wenn ein flammender Kronleuchter in einer hellgrauen Schubkarre aus Metall platziert ist, ein megalomaner grauer Filzhut neben Tornistern, Werkzeugkästen und Koffern paradiert oder eine Säule aus übereinander getürmten, aufgeklappten Werkzeugkästen wie eine sprechende Skulptur erscheint, die auf einer Basis über weiß lackierten Arbeitshelmen ruht und eine Deckplatte mit grauen Unternehmerhüten aus Filz trägt. Huber spielt dabei nicht nur optische und haptische Materialgegensätze aus, sondern verfremdet die gegenständliche Figur zur konstruktiven Skulptur, als wolle er Stalins Wort „auch der Arbeiter hat ein Recht auf die Säule“ konterkarieren, den „sozialistischen Realismus“ mit der konstruktivistischen Revolutionskunst austreiben. Es entsteht ein Vexierbild, das zwischen abstraktem Artefakt und lesbarem Bild Oszilliert. Claes Oldenburg wirkte sichtlich inspirierend, auch wenn die Intention eine andere ist. Huber selbst hat diese Arbeit „gestische Skulpturen“ genannt; man könnte sich auch Denkbilder, moderne Embleme nennen, die oft szenisch instrumentiert sind, Witz haben: So können die Machtinsignien nicht mehr imponieren, wenngleich sie durchaus noch faszinieren. Das gilt zuletzt auch für das ambivalente, bühnenbildartige Environment „Das Wunder von Petersburg“ (1985), in dem das stählerne Gehäuse der industriellen Moderne mit schneidender Distanz inszeniert worden ist: Lenins Stuhl und Schreibtisch als tektonische, gleichwohl labile Skulptur auf Maschinenrädern, metallisch grau und geschliffen über einem weichen gepolsterten Empire-Stuhl, auf ein zylindrisches Monument zielend, das von gipseren Arbeiterfiguren getragen und von einem triumphalen Adler aus Gips bekrönt wird. Er wirft seinen Silhouette über die geballte, von Bienen umschwirrte Faust, die ironischerweise mit zarten Stuckkonturen mitten in einem plafondartigen Stuckrahmen sich abzeichnet. Weiß in Weiß scheint sie im Schatten der Macht zu verschwinden. Das einstige Emblem der Arbeitermacht ist zum antiquierten Stuckdekor verkommen, ein Ornament in Ost und West gleichermaßen. Huber entwirft hier ein skeptisches Geschichtsbild, das Foucaults Machttheorie durchaus als Illustration dienen könnte. Freilich, Huber konstatiert griffig und rhetorisch, gleichsam aus der gesicherten Distanz des Zeugen, wo Foucault auf seiner ganz anderen Ebene noch involviert war.
Seine Nähe zum Theatralischen hatte Huber indes schon 1983 mit seinem zugleich üppigen und strengen Environment „Ich liebe Dich“ gezeigt: Ein zum Tableau erstarrter, weißer Raum, in dem sich Plafond und Wand verkehrt haben, der Parkettfußboden aufgehende Wand ist und die darauf montierten Sessel ein schwarzer, moderner Drehsessel und ein roter, altertümlicher Fauteuil eine ortlose Gesprächssituation vorstellen, die buchstäblich ins Bodenlose fällt. Die makellos perfektionierte Schönheit des Raumes, in dem Innen- und Außenwelt, Chefetage und Boudoir sinnfällig verschränkt erscheinen, wird dabei durch einen langsam schwingenden Kronleuchter ins Unheimliche gesteigert, in latente Spannung versetzt. „Doch dann war da noch der Text“, schreibt Stephan Huber selbst, „das Gespräch zwischen zwei Stühlen, den man nicht wahrnahm. Dieses Gespräch über die Arbeit, die Ausbeutung, über die Besitzverhältnisse zwischen Mann und Frau. Eine Qualität des Raumes wurde dadurch zerstört. Es ergab sich eine neue Sichtweise. Der Raum wurde anders betrachtet. Text und Bild verbanden sich zu einer neuen Einheit. Beide lebten plötzlich voneinander.“ Dabei steht, wie im Klischee, der zeitgemäßen Zweckrationalität des Mannes die gefühlsbetonte „Antiquiertheit“ der Frau gegenüber; das objektive Verhältnis von Geld und Macht greift ein ins private Seelenleben, verkehrt die Liebe ins Pathologische: In Wahrheit gibt es hier kein Gespräch, sondern nur den jeweiligen Monolog.
Eine korrespondierende Arbeit heißt denn auch „Ich werde Dich töten“: Ähnlich hatte bereits der „Nouveau Roman“ Seelendramen sich abspielen lassen, die innere Bewegung der Menschen durch sinnfällige Plazierung toter Gegenstände ersetzend und scheinbar objektivierend. Indes ist Huber in solchen paradoxen Tableaus eher von Robert Wilsons theatralischem Gesamtkunstwerk inspiriert, ohne dessen hermetischem Ästhetizismus zu frönen. Mit Wilson teilt er die kühle Präzision, die souveräne Beherrschung verschiedener Darstellungsmodi, den Rekurs auf das surrealistische Bild und seine offene, assoziative Struktur, die einen erzählerischen Zusammenhang zugleich setzt und durchkreuzt. Es sind immer auch Bilder von Bildern mit Stephan Hubers eigenen Worten „Das Überdenken der Abbilder durch neue. (Linkshändig)“, wobei er die lebenden Bilder Robert Wilsons zur „nature morte“ erstarren lässt und methodisch Mimesis ans Verhärtete betreibt.
Zum plakativen Signal verkürzt erschein das Thema schließlich in der Arbeit „Giorgio“ (1986), die de Chiricos „Lied der Liebe“ huldigt und dessen hermetischen Melancholie zugleich im eindeutigen Zugriff preisgibt: Eine riesige, bleierne Roboterhand umklammert einen schmiegsamen Lederhandschuh, der wie eine Blutlache mit auslaufenden Fingern am Boden liegt: Nicht mehr fetischistische Beute der Sehnsucht wie bei Max Klinger, sondern Opfer einer brutalen, „männlichen“ Maschinenwelt. Gefühl und Härte in klischiertem Kontrast, im Blendlicht einer zynischen, über sich selbst aufgeklärten Vernunft? Huber weiß davon in seinen jüngsten Arbeiten.
Hier ist die Absage an jede Utopie definitiv, die emphatische Hoffnung von einst endgültig verloren worden. An deren Stelle tritt die geschichtliche Erinnerungsspur, das „Lagerimkopf“, wie Stephan Huber es nennt, die abrufbaren Bilder eines „musée imaginaire“, das jetzt auch regionalen, bayerischen Zuschnitt hat, wie bei Gerhard Merz „barock“ versetzt ist. Dabei zollt Huber keiner traditionalistischen Wende Tribut, bezeichnet er doch die Bruchstelle zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem genau. So ist der ins Riesengroße verfremdete, blau- und goldgesäumte Biedermeierteller mit dem romantischen Liebespaar im Tellergrund aus rohem Gips und zersprungen, steht auf einem gefächerten Sockel aus Pressspanplatten: Eine gestörte „Idylle“ (1984), die Verlorenes nicht verklärt, aber Erinnerung wie in einem zersprungenen Spiegelbild wachhält, zugleich lebendiges Gegenbild eines opaken schwarzen Obelisken mit Milliardeninschrift. Huber selbst nennt solche Arbeiten „in einer übersetzten Form kleine Genrebilder des Kapitalismus.“
Sein neues Interesse für das 19. Jahrhundert hat indessen noch eine andere Ebene und Quelle. Von Walter Benjamins Passagenwerk angeregt, kombiniert er jetzt die ornamental überformte und so der kulturellen Aura teilhaftige Technik des 19. Jahrhunderts mit puristischen Skulpturen und Tafeln, die der klassischen Moderne verpflichtet sind. Beides, Historismus und klassische Moderne, ist für Huber gleichermaßen verfügbar, ist Geschichte geworden, die ihren einstigen Inhalt abgestreift hat. Dabei interessiert ihn am 19. Jahrhundert eine Dialektik der Aufklärung, die Rationales in Irrationales verkehrt. So schreibt Huber beispielsweise: „Die Grotte in Linderhof immerhin einige hundert Quadratmeter in die Erde gegraben, mit einer Eisendachkonstruktion. Siemens baute König Ludwig II. in diese Grotte die erste elektrische Lichtanlage in Bayern. Welch magische Struktur in der Aufbruchzeit des Kapitalismus.“ Technik im Dienste des Exotischen, Elektrizität als magisch wirkende Illumination eines inneren Orients, mit anderen Worten: das künstliche Paradies als Attrappe das war schon für die Surrealisten ein Faszinosum. Was der Moderne damals als „schlechter Geschmack“ galt, die historistische Travestie des Alltags in Bild und Architektur, interpretierten sie als ästhetisch stimulierende Einheit des Disparaten, als paradoxe Kombinatorik, die sich gegen den normativen, den universalistischen Anspruch der modernen Pioniere wenden ließ. Dieser Skeptizismus des frühen, des noch idealistisch orientierten Surrealismus kehrt heute, nach der gescheiterten Hoffnung einer Versöhnung von Kunst und Leben, wieder, freilich ernüchterter und auch trivialer. Davon zeugen auch Hubers jüngste Arbeiten, die er selbst als offenes Experiment apostrophiert, als Gratwanderung zwischen illusionistischem Kitsch und seiner desillusionierenden Darstellung.
Noch einmal sind die Träume, wie Walter Benjamin mit Blick auf die Surrealisten gesagt hat, „Richtweg ins Banale“, wobei die Träume selbst freilich im Gestus des assoziativen Zitierens aufgehen: Poesie ist zuletzt wie der zersprungene Biedermeierteller zum Abziehbild ihrer selbst geworden, das einstige Vertrauen in die unmittelbare Evokationskraft des Bildes, in das „Licht des Bildes“ (Breton), ist erloschen. Stephan Huber reagiert damit als junger Künstler auf seine Zeit, ohne dem Zeitgeist zu verfallen, auch wenn er ihn gelegentlich auf die Spitze zu treiben scheint. Auch hier wahrt er, zumindest theoretisch, kritische Distanz.
Monika Steinhauser
|