acta non verba

1986

Pratolino, FlorenzVilla Demidoff, Ausstellung: „Il giardino d’Europa“, 25.7.1986 – 28.9.1986

Vor den Toren von Florenz gibt es einen Ort, der gleichermaßen für die Erinnerung wir für die Imagination eine mythische Dimension hat: der Park von Pratolino, nach 1569 von Francesco I. Medici bei Buontalenti in Auftrag gegeben, von den Großherzögen von Lothringen am Beginn des 19. Jahrhunderts wie neu erfunden, von dem russischen Prinzen Demidoff bis 1955 bewahrt.
Stpehan Hubers Arbeit Acta non verba hat sich mit außerordentlicher evokativer Intensität in diesen so besonderen Zusammenhang eingefügt, den schon Montaigne als „Garten der Sinne“ beschrieben hat und der im folgenden zum „Garten der Wunder“, zum großen arkadischen Theater und zum Meisterwerk eines romantischen Parks gemacht worden ist. 1986 wurde dort eine besondere Ausstellung veranstaltet: der Garten Europas mit dem Untertitel „Pratolino als Modell in der europäischen Kultur“. Sie vereinte Dokumente und Werke der alten Kunst mit Projekten, Installationen und Arbeiten zeitgenössischer Künstler.
Stephan Huber richtete im ersten Stock der Villa Demidoff eine Installation ein. Man tritt in die Räume ein, als öffneten sich neue Dimensionen, als würden starke psychische Spannungen gehäuft, im durchschreiten erlebt man in heute leer stehenden und ungenutzten Zimmern eine Zeit des großen Luxus, als alles voller Kunstgegenstände war. Erst kommt eine Treppe, dann auf dem Absatz die Marmorskulptur einer Heiligen in einer Nische und schließlich zwei lang gestreckte, kahle Korridore, die den Rundgang gabeln und sich als unbetretbar herausstellen. Von der Tür gegenüber kommt ein verletzend hartes Licht herein, dann hört man Lärm von irritierender Lautstärke. Wendet man sich aber der Tür zu, wird man mit einem Ereignis, das sowohl provoziert als auch Erinnerungen freisetzt, konfrontiert. Vom Parkettboden sind einzelne Bretter in einer Weise herausgenommen, dass ein negativer Schriftzug erscheint: „Acta non verba“, wie im Wappen der Demidoffs.
Ein heller Kronleuchter zerschneidet die Leere des Zimmers mit unversöhnlichen Hieben, oszilliert rhythmisch wie ein bedrohliches Lichtpendel, das Kristallglas vervielfältigt sein Geklirr und reflektiert das dynamische Licht der Reflexe, die wie im Prunk eines Salons vergangener Zeiten strahlen.
Aber dieses Zeichen eins Perpetuum mobile spielt auf die Idee des Pendels/Kronleuchter in den häretischen Beobachtungen des Galileo Galilei an (der in Pratolino den Medici die Mathematik lehrte) und ist darin verflochten – vergessen wir auch Edgar Allen Poe nicht. Das Fenster des Zimmers ist verschlossen, aber durch die beiden anderen, offen stehenden Türen dringt Licht ein, und man hört Laute – leise Stimmen und Geräusche, in denen sich Gelächter und Worte vermischen.
So entsteht die Vorstellung von einem Fest, einem unsichtbaren, vielleicht längst vergangenen Ereignis, wie in einer Zeitmaschine, die den Truggesichtern der Erinnerung mit intensiv psychologischer Kunst Leben eingibt: ganz überraschend, aus dem Gefühl, ohne irgendeine Rhetorik oder eine manieristische Inszenierung.

In der Tat hat hier Huber einen einzigartigen und stolzen Sieg der Evokation, nicht der Darstellung geschaffen. Stephan Huber sprach in seinem Exposé zu dieser Arbeit jedoch auch von einem ganz anderen Fest: „Es ist ein Fest des Verschwindens. Die alte verrottete Pracht ist zum Bild des Untergangs geworden. Ein gesicherter, ein petrifizierter Zustand löst sich auf in Instabilität.“

Das Licht kreist wie in einem Alptraum, dem Schlaf der Vernunft. „Taten statt Worte“, der ins Parkett geschriebene Spruch, mag in der Aufbruchzeit des Bürgertums noch für Entscheidungsfreudigkeit, Mut und Weitsicht gestanden haben, verkommt heute jedoch zur zerstörerischen Farce. Ist diese der grandiose Abgang? Acta non verba alleine hätte genügt, das Pratolino der Demidoffs in den „Garten Europas“ einzubeziehen, denn es hat konzeptuelle, ästhetisch vorwärtsweisende Kräfte hereingeholt, die Fürsten wie Francesco I. und Künstler wie Giambologna und Buontalenti dort vier Jahrhunderte zuvor verwirklicht hatten.

Alessandro Vezzosi




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