Drehbuch "Im Garten der Zahlen"

1. BILD

J. Osborn läuft auf belebter Strasse und verschwindet im U-Bahn Tunnel

2. BILD

Sonne (ca. 7 Uhr morgens)
Kinder betreten den Raum,
wild stürmisch

A: Elfen
tanzen um Bäume. Versuchen am letzten Baum
Apfel zu erreichen, der jedoch immer
leicht hochgezogen wird.

B: 2 Jungen laufen mit Hund
an Leine auf ihren Platz. Nelly hat grossen

Knochen im Maul. Die 2 Jungen lassen
Hund immer über Bank springen.

C: 3 Pfadfinder setzen sich hin, breiten
Landkarte aus und betätigen Kompass.
Jeder zeigt in andere Richtung.

D: 3 Mädchen laufen
an ihren Platz: „Teenagergespräche.“
Auf der Bank zieht ein Mädchen

Girl oder Bravo aus der Tasche, alle
Begucken tuschelnd die Zeitung.

3. BILD

Leibniz und Zuse erscheinen durch
Vorhang an Haupttüre. Lautes Geräusch.
Kinder halten respektvoll inne.

4. BILD

Kinder verschwinden hinter den Bäumen.
Leibniz und Zuse beginnen in Schlangenlinien
durch Garten zu laufen und zu sprechen.
3 Mädchen bleiben auf Bank sitzen, drehen sich
jedoch lässig um und beobachten Leibniz und
Zuse.
Gleichzeitig geht Sonne auf und wandert im
Zeitraffer nach oben.

LEIBNIZ:
Hören Sie?

ZUSE:

Gewiss, es ist die Melodie der Dyadik.

LEIBNIZ:

Und was höret er?

ZUSE:
(gleichgültig)

Eine Zahl.

5. BILD:

Leibniz und Zuse verschwinden hinter

Baum (ca. 3 Sek.), währenddessen als
direkte Antwort auf Zuses Antwort:

3 MÄDCHEN:

(im Chor):

Ja, es ist eine Zahl.

Leibniz und Zuse tauchen wieder
auf

LEIBNIZ:

Es ist mehr als eine Zahl.

ZUSE:
2161646

LEIBNIZ:

Sei er nicht so ignorant, Herr Zuse.
Er hört doch auch die beiden Punkte.
(Schlägt mit Stock zweimal
gegen Stamm, Blüten fallen vom
Baum. Leibniz und Zuse laufen jedoch
sofort weiter und verschwinden
hinter Baum, Antwort von 3 Mädchen
sofort)

3 MÄDCHEN:

Er hört doch auch die beiden Punkte.

6. BILD:

Leibniz und Zuse tauchen wieder auf.

3 MÄDCHEN:

21.6.1646

LEIBNIZ:
(schaut zu 3 Mädchen, ärgerlich)

Ja. 21.6.1646

ZUSE:

Ja

(Leibniz und Zuse verschwinden
hinter Baum, unsichtbar spricht Leibniz)

LEIBNIZ

Ja

7. BILD:

Leibniz und Zuse tauchen wieder auf.

ZUSE:
Ja, der Geburtstag des grossen Leibniz
nach alter Zeitrechnung.
Das grösste Genie seiner Zeit, der Vater

des binären Zahlensystems.

LEIBNIZ:
Wohl trefflich formuliert. Denn wo wären
Sie ohne mich. Wie kann er sich alleinig
Vater des Computers nennen lassen?

ZUSE:
Wer sonst hat den Computer erfunden,
als ich, Konrad Zuse.
Sie wissen es, aber beständig ignorieren
Sie es.

Zuse und Leibniz verschwinden hinter
Baum, währenddessen:

3 MÄDCHEN:
Beständig ignoriert er es.

8. BILD:

Zuse und Leibniz erscheinen hinter Baum,

Leibniz mit Rechenmaschine

LEIBNIZ:
Wenn ich gar eine bessere Mechanik damalig
zu verfügen hätte haben können.
Dreht an der Handkurbel, beide gehen Richtung
Bank und setzen sich hin
.

Dann wären sie nicht mal erwähnt, Zuse.
Zuse, wie das schon klingt, da hilft auch kein
Konrad mehr.

3 MÄDCHEN:
Da hilft auch kein Konrad mehr.

ZUSE:
Und was ist nach Ihnen benannt, Leibniz?
Ein Keks. Da beiss ich nicht mal rein.

3 MÄDCHEN:
Da beisst er nicht mal rein.

ZUSE:
Mensch, Leibniz, Haben Sie denn vergessen,
dass ihre „Vier-Spezies-Rechenmaschine“
mit dem 10 System arbeitete?
Sie konnten ihr binäres System nicht mal selbst
verwenden.
Ich erst habe gewusst, dass das binäre System
für die Maschine am besten geeignet ist.
Das war revolutionär.

Zuse und Leibniz stehen wieder auf,

verschwinden hinter Baum und kommen ohne
Rechenmaschine wieder zum Vorschein.
Jugendliche sprechen währenddessen:


3 MÄDCHEN:
Das war revolutionär denkt er.
Doch er hat nur eine Schlussfolgerung
gezogen.
Leibniz aber hat gross gedacht.
Wilhelm wir lieben dich.

Leibniz schaut kurz, lächelnd, zu den
Jugendlichen.


9. BILD:

ZUSE:
Schlussfolgerung hin oder her.
Die Maschine braucht dennoch
die Dyade. Nur die 0 und die 1.
Das ist ein Zahlensystem, das allen
Anforderungen genügt.

3 MÄDCHEN:
Das ist ein Zahlensystem, das allen
Anforderungen genügt.

LEIBNIZ:
Meine Dyadik genügt allen Anforderungen.
Und sie zeigt noch viel mehr:

Denn anders als das Zehnersystem ist sie

auch Symbol der Vollkommenheit der
Welt.

Leibniz breitet kurz die Arme aus.

Die Dyadik ist göttlich. Die Erschaffung aller

Dinge aus dem Nichts durch die Allmacht
Gottes. Wie ich damals schrieb:
“Nun kann man wohl sagen, dass nichts in
der Welt besser vorstelle, ja gleichsam
demonstriere, als der Ursprung der Zahlen,
wie er allhier vorstellet, durch deren Ausdrückung
bloss und allein mit Eins und Null oder Nichts.“
Also in 0 und 1. Darin ist die ganze Welt enthalten.

3 MÄDCHEN:

In 0 oder 1. Darin ist die ganze Welt enthalten.

10. BILD:

3 MÄDCHEN:

Stehen auf von Bank, setzen sich hinten an Wand,

ziehen Laptop hervor und benutzen ihn.
Leibniz und Zuse kommen vor Kamera zu stehen.


LEIBNIZ:
Deshalb: die bestehende Welt ist die beste aller
Möglichen, sie besitzt einen maximalen Reichtum

von Momenten und in diesem Sinn die grösstmög-
liche Mannigfaltigkeit.

Zuse schiebt Leibniz leicht zur Seite und tritt
vor die Kamera:

ZUSE:
Wie Hegel schon sagt, Leibniz hatte den langweiligen
Gedanken, dass Gott unter den unendlich möglichen
Welten die beste ausgewählt habe – in optimistischer
Idealist eben.

Leibniz zieht Zuse von der Kamera weg und
stellt sich vor ihn.

LEIBNIZ:
Die beste aller möglichen Welten ist dynamisch
gedacht: nicht der derzeitige Zustand der Welt
ist der bestmögliche, sondern die Welt mit
ihrem Entwicklungspotential ist die beste aller
möglichen Welten.

Leibniz tritt von der Kamera zurück.
Leibniz und Zuse beginnen langsam durch den Garten
zu laufen.

11. BILD:

Leibniz redet direkt weiter.

LEIBNIZ:
Denn eben dieses Entwicklungspotential ermög-
licht es den derzeitigen Zustand zu verbessern,
nicht hin auf einen utopischen Zustand, sondern
immer weiter, in einem nicht endenden Prozess
der ständig sich überbietenden Entwicklung.

12. BILD:

Dämmerung setzt ein im Zeitraffer.

3 Mädchen sind immer noch mit Laptop
beschäftigt.
Die Kinder treten gleichzeitig in den Wald.
Diesmal jedoch ruhiger und geordneter.

3 Jungen (mit Leine) spielen
Playstation.

Pfadfinder spielen synchron mit ihren Handys.

Elfen sitzen auf Bank und hören/tauschen
i-pods

13. BILD:

Zuse und Leibniz laufen Richtung Türe. In der
Mittes des Weges kommt Ihnen John Osborn
entgegen. Zuse und Leibniz schauen ihn verwundert
an. Osborn reagiert nicht. Osborn läuft an Zuse
und Leibniz vorbei, bleibt kurz darauf stehen
und spricht in die Kamera:

JOHN OSBORN:
Was soll man noch sagen? Der Computer ist
die logische Weiterentwicklung des Menschen.
Intelligenz ohne Moral. Es gibt kein richtiges
Leben im Falschen.

Osborn läuft weiter und verschwindet aus dem Bild.

Direkt nach Osborn Monolog:

1 MÄDCHEN:
Wer ist der Typ? Adorno?
1 MÄDCHEN:
Quatsch! John Osborn, Moralist.
1 MÄDCHEN:
Wie langweilig!

Musik setzt ein: Kinder strömen alle auf die
Bank zu und positionieren sich wie Chor,

die kleinen vorn, die großen hinten.
Singen:

ALLE KINDER:

Die Welt ist die beste aller möglichen Welten.

“Sonne“ geht extrem schnell unter und der
Raum taucht ab in schwarz.

Copyright Stephan Huber, München 2006


s/w druckerfreundlich