Hans-Werner Schmidt

8 Zi.-Whg. f. Künstler, 49 J., Aus der Sicht des Vermieters

Stephan Huber ist eingezogen in das Museum der bildenden Künste. Eine Fläche von 425 Quadratmetern gibt ihm den Ort für seine Acht-Zimmer-Wohnung. Diese Großzügigkeit vermutet der Eintretende nicht, nähert er sich der schlichten Eingangstür. Spät, vielleicht für manchen zu spät, wird man der unüblichen Höhe für einen Türsturz gewahr. Der Künstler misst 176 cm. In Entsprechung misst der der Türsturz ebenfalls 176 cm. Voreilig könnte man meinen, dieses auf den Künstler bezogene Maß künde von Egozentrik – der Künstler als Maß der Dinge. Stephan Huber wird im Laufe der Ausstellung 50 Jahre alt. Ein biologische Uhr setzt zunehmend Reflektionen in Gang über die Jahrzehnte, in denen man sein Leben eingerichtet hat – und die, die anstehen. Der gut gemeinte Rat der Mutter, die Schuhe eine Nummer größer zu kaufen, bleibt von nun an bei aller Liebe unerhört. Vielleicht mit ein wenig Trotz formuliert man für sich, dass in der weiteren Lebenseinrichtung Provisorien und Kompromisse keinen Platz mehr haben. Es soll nun passen als stabile Plattform für weiterhin uneingeschränkte Radien. Gesenkten Hauptes – die meisten jedenfalls – betritt man Hubers Wohnung und trifft im ersten Raum auf das gewaltige Bergmassiv von Eiger, Mönch und Jungfrau. Der Blick, eben noch den Türrahmen auslotend, geht schweifend in die Höhe. Die Dimension verunsichert. Der Besucher weiß, dass er einem Modell gegenübersteht, doch dieses scheint die Grenzen des Innenraumes zu sprengen. Es entsteht der Eindruck, als habe der Mieter sich eben dieses Modell als XXL-Version in die eigenen vier Wände geholt, wobei magische Kräfte es einem Wachstum zugeführt haben, so dass man der Situation nicht Herr wird. Es ist wie draußen in der Wirklichkeit am Berg. Man hat die eigene Leistungsfähigkeit falsch eingeschätzt und nach jeder Windung des Aufstieges kommt einem der Gipfel weiterhin in unerreichbarer Ferne vor. Das, was via Augen mit dem Willen beherrschbar zu sein scheint, verweigert sich dem Tritt.

Für Stephan Huber, der im Allgäu aufgewachsen ist, sind die Berge im Leben wie in der Kunst unumstößliche Bezugspunkte. Bereits 1992 platzierte er „Die Alpen“ im Bereich des Münchner Flughafens. Das in Mosaiktechnik wiedergegebene Bergmassiv erscheint in dieser skulpturalen Installation wie ein Wasserspeicher. Ein Wasserfall ergießt sich aus der Höhe in ein Becken in der Tiefe. De Flughafen als Transitzone weltumspanndenden Verkehrs bekommt mit dieser Setzung einen unverwechselbaren Akzent, in dem ein Bild von Heimat, von ortsbezogener Identität entsteht. 1997 bringt Huber ein monumentales Industrieregal vor die Münchner Messe („Gran Paradiso“) in Position. Darin abgestellt findet man 29 Bergsegmente aus den fünf Alpenländern. Die Bergformationen erscheinen im Kontext Messe und Regalaufstellung wie Konsumartikel. Diese Form der Handhabbarkeit birgt in sich das Gefahrenpotential, den Berg falsch einzuschätzen. Er verweigert sich realiter dem Konsumerablen, auch wenn das Gebirge, bei Fön gesehen, am Horizont gleich einem Dekorstreifen in Erscheinung tritt.
Die Uneindeutigkeit der Dimensionierung ist ein Kunstgriff im Huberschen Gestaltungsablauf.

Drei Türen im Erdschnitt unterhalb der Gipfel in Hubers Wohnung suggerieren uns sicheres Terrain, auch wenn die Eingänge in den Maßen wie für Kleinwüchsige konzipiert zu sein scheinen. Zwei bleiben geschlossen, der mittlere lässt uns in eine Kammer eintreten.
Abgeschirmt finden wir uns in einem Raum, der in der Dimension an einen Fahrstuhl erinnert, während seine metallische Ausmantelung an Laborstätten und klinische Bereiche denken lässt. Wir halten uns darin in einer abgedunkelten Zone auf. Der einzige Lichtschein kommt aus einer angegliederten Vitrine, in der ein überdimensioniertes Herz schlägt. Durch die Größe und die deutliche farbige rot-blau Fassung der Arterien und Venen wird das Organ in seinem Modellcharakter betont. Doch das deutlich sichtbare Pulsieren forciert den Griff an die eigene Brust. „Saussurres Herz“, so der Titel für Bergmassiv und Innenleben, findet sich in einer Herzkammer – und wir uns ebenso in einer solchen. Das beschützenswerte, nur an den Adern hängende Organ wird zum Unheimlichen, weil wir nicht wissen, welchen Organismus es am Leben hält.
Horace-Benedict Saussure, Naturforscher aus Genf, war einer der ersten, der den Mont Blanc bezwungen hat (1787). Sein Herz, das für den Berg schlug, schlägt nun in der Tiefe des Felsens. Doch dieses hier mittels Sprache nachvollzogene Pathos wirkt zugleich brüchig, angesichts des Fahrstuhlambientes und des Wissens um die zahlreichen Kabinenbahnen am Hang und im Berg, die uns ohne zunehmenden Herzschlag in die Höhe bringen. Man kann auf einem solchen Strang unterwegs sein und den Rat des erfahrenen Bergsteigers in den Wind schlagen, zumal diese Form der Fortbewegung dem aus dem Science-Fiction-Milieu bekannten „Beamen“ als Form immateriellen Reisens nahe kommt.

Auch Huber versetzt uns – auf den ersten Blick – unvermittelt in neue Areale.
Im zweiten Raum von Hubers Domizil trifft man auf eine Gruppe von vier Fotos, die ein gepflegtes, bürgerlichem Standard entsprechendes Einfamilienhaus inmitten einer polaren Eiswüste zeigen. Gemeint ist das Heim der Hubers in den 1950er Jahren. Die Aufnahmen vermitteln einen zwiespältigen Eindruck. Sie sind angesiedelt auf dem Grat zwischen perfekter Simulation und dem Ambiente einer Modellbaulandschaft, wobei der Blick hinter die Kulissen freigegeben ist.
Angesichts der Erderwärmung droht nicht die nächste Eiszeit, aber Erosionen im Gebirge durch geschaffene Brachflächen für Besiedlungen und Freizeitvergnügen wie auch Aushöhlungen durch Bergbau manövrieren manches häusliche Idyll an den Rand der Naturkatastrophe. Dabei gehen Worte wie „Bergbau“ über Jahrhunderte den Menschen unbedenklich über die Lippen, weil die konforme Bedeutung des Wortes „Bau“ die Dekonstruktion des Natürlichen im Gedankenbild verstellt. Das Bild des Heimes in der Eiswüste provoziert Entweder-oder-Gedanken. Es ist entweder von den Gewalten der Natur eingeholt und umzingelt, oder es hat sich – wie der Turnschuhtourist auf dem Gletscher – zu weit vorgewagt. Märchen geben uns aber auch unbedenkliche Vorstellungen. Für den kleinen Häwelmann bleibt sein Bett unterwegs auf den Strahlen des Mondes ein behüteter Ort und auch Jim Knopf lenkt seine Lokomotive Emma sicher durch alle Naturgewalten hindurch.

Die Betitelung der Fotofolge mit „Shining“ lässt natürlich an den gleichnamigen Film von Stanley Kubrick denken. Der ehemalige Lehrer Jack Torrance, gespielt von Jack Nicolson, möchte in aller Ruhe einem Roman schreiben. Er übernimmt einen Job als Wächter in einem Hotel in den Bergen Colorados, das während des Winters geschlossen wird. Die Atmosphäre des Hauses und die Einsamkeit treiben den ambitionierten Schriftsteller schließlich in den Wahnsinn. Der Rückzug in das vermeintlich Ruhe und Schutz bietende Heim gebiert das Unheil.
Eine kleine Tür, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Fotos in die Wand integriert, fordert unsere Neugier heraus. Dieser Einbau kommt aus dem Huberschen Haus im Allgäu. Kaum geöffnet, werden wir mit einem brodelnden Chaos konfrontiert. Die Filmsequenz zeigt uns einen lichterloh brennenden Laden. Menschen stürmen in Panik daran vorbei. Der Ton tritt gleich einer Stichflamme an unser Ohr. Vor Schreck schließt man schnell den Blick in eine andere Welt. In den 1950er Jahren war das Fernsehgerät noch in einer Truhe mit verschließbaren Türen platziert. Das Möbel stellte so nicht die unmittelbare Schnittstelle zur Außenwelt dar, die uns heute in Monitoraddition gleich elektronischer Tapeten umgibt. In der Fernsehtruhe konnte man die Welt draußen noch verschließen. Der Titel des Horrorszenariums „Shit HappensI“ verweist uns auf weiter bedrohliche Begegnungen in Hubers Wohnbereich. Kaum hat man diesen Schrecken überwunden, muss man sich seines Wahrnehmungsvermögens vergewissern. Der folgende Raum scheint, wie von magischen Kräften bewegt, inner halb des Wohnungsgefüges gekippt zu sein. Der Belag, aus dem Wohnzimmer des Malers Lenbach kommend, zeigt, gleich Narben, Spuren der langzeitlichen Nutzung. Das 19. Jahrhundert ist zu deinem stimmigen Wandbild transferiert, während der Vertreter der Moderne ein gebrochenes Verhältnis zur Bodenhaftung hat. Helmut Friedel beschreibt das Zueinander im „Ich liebe Dich“-Zimmer wie folgt: „Im Dialog zwischen den beiden Stühlen, die zugleich Mann und Frau sowie 19. und  20. Jahrhundert repräsentieren, entspinnt sich ein Dialog über die gegenseitigen Defizite und Leistungen.“ Währenddessen befindet sich ein an der (wirklichen) Decke hängender Kristalllüster in einer Pendelbewegung, womit sich der Eindruck einstellt, als sei das Raumgeviert gerade einem mittelschweren Erdbeben ausgesetzt gewesen. Die Lichtquelle in Bewegung, ein Grundelement kinetischer Kunst, erscheint bei Huber in historistischer Form und wird dabei auf den Raum bezogen, doppelt narrativ aufgeladen. Letztlich werden die Ebenen und das, was sie repräsentieren und solange der Leuchter pendelt., immer in einem instabilen Zueinander erscheinen.
Bleibt der „Ich liebe Dich“-Raum für den Besucher eine nicht betretbare Bühne, kann er im angrenzenden Flurbereich seinen Gang fortsetzen. Türen stehen offen, sind angelehnt oder auch verschlossen. Die verschlossenen Türen fordern heraus und befördern Enttäuschung, weil sie sich nicht öffnen lassen. Eine ist angelehnt, einen Spalt offen und bringt uns in eine unsichere Disposition. Zum einen ist es die Kulturtechnik der Diskretion, die uns anhält, Abstand zu wahren, um nicht unverhofft und unvermittelt teilzuhaben. Zum anderen befördert der Einblick, der mehr ahnen als sichten lässt, unsere Neugier und Phantasie. Längst ist der Türspalt mit dem heraustretenden Licht zum dramaturgischen Bildtopos des Kriminalfilms geworden. Es ist die Blickbahn, auf der der Nervenkitzel verortet ist. Hubers einen Spalt offen stehende Tür macht uns zudem orientierungslos. Fast unter die Decke des uns Boden gebenden Raumes gesetzt, werden wir eines Parkettfußbodens an der Decke des Nachbarraumes gewahr. In dem Moment der Verkehrung verspüren wir, wie uns Bodenhaftung entzogen wird.
Der Blick in die nächste Durchreiche gibt uns auch keinen Halt. „Shit Happens 2“ zeigt, wie Flutwellen Behausungen mit sich reißen. Demgegenüber scheint das Hubersche Haus als weitere Fotofolge immer noch die sichere Heimstätte zu sein, ja dem Inferno zu trotzen. Das Familienhaus („Kirschblüte 1952“) findet sich nunmehr in einer Wüstenei, die militärische Intelligenz geschaffen hat. Huber synthetisiert Luftaufnahmen des im Krieg zerstörten Wesel mit denen seines Elternhauses aus dem Jahr 1952, seinem Geburtsjahr. Die Landschaft ist von Bombenkratern übersät, Ruinen scheinen bizarre Felsformationen näher als ursprünglicher Bausubstanz. Inmitten dessen finden wir das Haus, unter dessen Dach alles in Ordnung zu sein scheint. Der Schornstein raucht und aus dem Wohnzimmer hat man den Blick auf die Kirschblüte, den erwachenden Frühling.
Kindlich-anheimelnd findet der Parcours seine Fortsetzung. Eine kleine Tür, dieses Mal misst der Türsturz nur 80cm, weist uns den Weg. Wir denken an die Krabbelecke eines Kindergartens, den Rückzugsraum für das kleinkindliche Gemüt, und zwängen den Körper durch diese Schleuse in den nächsten Raum. Wir richten uns auf und stoßen an einen überdimensionierten, von der Decke hängenden Hut. Fühlte man sich in die Beuge gezwungen, eben noch riesenhaft angesichts des miniaturisierten Dachgangs, sieht man sich abrupt in ein Zwergenstadium versetzt. Eine weibliche Stimme dringt an unser Ohr. In bestimmendem Ton wechseln Lob und Tadel. Unter der „Ich-Kuppel“, Sinnbild für Heim und Familie, wird Erziehung und Zuckerbrot und Peitsche praktiziert. Der Hut gehört zur künstlerischen Biographie Stephan Hubers, dessen Eltern eine Hutfabrik besaßen. Neben Installationen im Innenraum kommt der Hut auch im Außenbereich zum Einsatz. Als hängende Skulptur, verspannt zwischen Gebäuden der HUK Coburg Versicherungen (Coburg, Hauptverwaltung, Landschaftshof), formt ihn Huber aus patiniertem Kupfer. Als Schutz vor den Unbillen des Wetters korrespondiert seine Funktion auf symbolischer Ebene mit den Aufgaben einer Versicherung, auch wenn Schadensvermeidung und Schadensbegleichung unterschiedliche Vorgänge sind. Der Coburger Hut bietet in seinem Inneren Platz für Vogelnistkästen. Das Nest stellt ein vitales Refugium dar, aus dem die Vögel – die Gedanken – ausschwärmen können. Der Hut in der 8-Zimmer-Wohnun findet monumentalisiert zu seiner Form. Im Coburger Exemplar tritt zudem die Dimension der Miniaturisierung, in dem ihm auch die Funktion einer Bedachung für den Ort zukommt.

Diese Verschiebung der Proportionen zeichnet viele Werke Stephan Hubers aus. So fühlt man sich unterwegs in märchenhaften Szenarien, wobei man dem Rollenwechsel von Zwerg und Riese ausgesetzt ist. Bilder von Gullivers Reisen, Alice im Wunderland bis hin zum Beatles-Film „Help“ stellen sich ein. Dabei wird das Sich-Einrichten in Welten von einem steten Perspektivenwechsel gelenkt. Aus einer früheren Arbeit, „Rote Sonne“ (Kunstraum München 1986) übernimmt Huber den Kiton-Anzug, der nun an zwei Kleiderhaken neben der „Ich-Kuppel“ hängt. Bei „Rote Sonne“ trug ein männliches Modell den teuren Zwirn mit aufgenähten Schriftzügen und Logos von Edelmarken zum Markt. Nun, im heimischen Ambiente, hängt die zweite Haut am Haken.
An Stelle der bekannten Firmen lesen wir befremdliche Namen, die mit dem Klang des Exotischen daherkommen. Es sind die Namen der Sherpas, die oft ungenannt oder allenfalls ins zweite Glied gedrängt, den Mount Everest bestiegen haben („Trägerstaffel“, 1997). Das Bergerlebnis in der Achttausender-Region ist heute als Luxusreiseangebot erhältlich. Abenteuer kleiden gut. Huber weist in Brechtcher Manier darauf hin, dass beim Erfolg zumindest auch ein Sherpa dabei war.
In unmittelbarer Nähe dazu begegnen wir „Shit happens 3“. Unter donnerndem Getöse wird man hier Zeuge, wie die weiße Pracht sich in eine Lawine verwandelt, frontal auf einen zukommt und ein Haus am Hang wegfegt. Der aufgewirbelte Schnee verstellt den weiteren Blick. Der Schrecken ist wiederum groß, obwohl man die überraschenden Bilder der Feuersbrunst und der Flutkatastrophe gespeichert hat. Verweilt man jedoch, nimmt der Grat der Beängstigung ab. Als Endlosschleife konzipiert, tritt ein Moment von Gewöhnung ein. Erst wenn man die Tür wieder schließt, spürt man Erleichterung und die Verharmlosung, der man gerade erlegen war.
Nach irritierenden Einsichten, befremdlichen Perspektiven und traumatisierenden Einblicken suggeriert der letzte Raum in Hubers Wohnung Überblick. Helligkeit, Weite und Stille gliedern diesen Raum aus dem bisher passierten verwinkelten Wohnungsgefüge mit den unterschiedlichen akustischen Kulissen aus. Landkarten, jeweils in Dreiergruppen organisiert, fordern uns zu Nahsicht und Studium heraus. Das, was beim ersten Eindruck als Orientierungshilfe daherkommt, stellt sich bald als Ort der Verwirrung dar. Normalerweise geben uns Küstenverläufe und Umrisse von Binnengewässern Anhaltspunkte für Ortsbestimmungen. Doch hier müssen wir die Erfahrung machen, dass Linien, die Land und Wasser scheiden, unbekannte Wege gehen und Formationen entstehen lassen, die uns vertraute Geographie als trügerisch erscheinen lassen, wenn nicht gar diesem Planeten gänzlich fremd. Farbmarkierungen entpuppen sich als autonome Einsprengsel ohne sinnstiftende Beziehung zu bekannten Kartenlegenden. Inseln, die man auf den ersten Blick glaubte, mit dem richten Namen zu besetzen, transformieren zu in sich geschwungenen Schriftverläufen oder informellen Kürzeln.
Zonen zu Meer und zu Lande werden überzogen mit Begriffen, die in vielerlei Sicht Orientierungshilfe sein mögen, nur nicht im Geographischen. Die Karten sind digital bearbeitete Lambda-Prints exakter amerikanischer Militärkarten. Mit subjektiven gedanklichen Besiedlungen überzogen, sind sie als Instrument stumpf geworden. Mögliche militärische Strategien werden umgewandelt in persönliche Obsessionen. Huber nennt diesen Werkkomplex „Das Labyrinth in meinem Kopf, dargestellt anhand von Kartografie als Projekt im Fortgang“. Schon als Kind war Stephan Huber mit dem Finger auf der Landkarte unterwegs. Der Blick blieb haften an fernen Gestaden. Gedanklich siedelte Huber an entlegenen Seen in der sibirischen Weite, um häuslichem Behütetsein und schulisch verordnetem Lernpensum zu entfliehen. Mit den Landkarten ist Huber heute dabei, seine Identität zu verorten. In den hybriden geografischen Formationen siedelt die Hubersche Familie. Die Heimat des Allgäu sowie Orte, die für bayerische Geschichte stehen, treten in überaus großen Bezugspunkten auf den Plan. Die Identifizierung mit Musikgruppen findet zu dynamisch aufgeladenen Formationen. Geografisches Abbild folgt hier grafischem Flower-Power-Duktus. Ein Netzwerk von Namen aus der Literatur überzieht die Lande. Ideologien, die Lebensbahnen Richtung vorgaben, siedeln in Wüsteneien. Biographie und Zeitgeschichte, individuelle Lebensbahn wie Markierung von Historie, sind dem facettenreichen und tiefgründigen Kartenwerk abzulesen. Es gibt die Insel des Vaters mit der Stadt namens „Jähzorn“ und es tauchen auf die Grundrisse von Konzentrationslagern am Stadtrand deutscher Städte; Zonen, die man im eigenen, sich stets selbst vergewissernden Umfeld auf fernen Planeten wähnte.
In den Jahren 1872 und 1874 unternimmt eine österreichisch-ungarische Expedition eine Nordpolexpedition. Sie entdecken ein unter Gletschern begrabenes Archipel und nennen es zu Ehren des fernen Herrschers „Kaiser Franz Joseph Land“. Somit wird einer der letzten weißen Flecken auf der Landkarte getilgt. Die Huldigung geht ungewollt mit der Subversion einher, denn es ist eine absolut menschenfeindliche Region, die von da an den Namen des gekrönten Hauptes trägt. Elf Jahre später beginnt Sigmund Freud als Dozent an der Wiener Universität. Seine Forschung und Lehre begründet die Psychoanalyse. Es ist sicherlich kein Zufall, dass in den Jahren, in denen die letzten unbekannten Passagen und Wüsteneien auf unserem Planeten zur Entdeckung anstehen, die Tiefenschichten der Psyche kartografiert werden.




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