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Im Sprachgebrauch der Stadtptaner und Gestatter öffentlicher Räume fungiert das Adjektiv >identitätsstiftend< als immer wiederkehrende Beschwörungsformel, die mit Vorliebe in Ausschreibungen und Wettbewerbstexten ihre apellative Anwendung findet. Zumindest das Verlangen nach >Identität< scheint gegenwärtig groß zu sein.Doch gewöhnlich geht die Beschwörung über das Verlangen nicht hinaus. So ist der Gebrauch des Begriffs äußerst emphatisch, sein Inhalt jedoch um so unbestimmter. Näher betrachtet erweist er sich als Leerformel, die, speziell im architektonischen Zusammenhang, vage und in Abgrenzung zu den Abstraktionen des internationalen Stils auf Individuation besteht und eine wie auch immer geartete Sehnsucht nach Heimat impliziert. Das Positive der Zauberformel >identitätsstiftend< besteht darin, daß sie im Sinne konstruktivistischer Einsichten gesellschaftliche Entitäten nicht als gegeben, sondern als konstruiert erachtet. Sie schweigt sich allerdings darüber aus, wie die Verknüpfung von Ort und sozialer Entität zu leisten ist. Offensichtlich spuken im Hintergrund Modelle einer Art gesellschaftlicher >corporate identity< herum, so als seien die Bewohner und Benützer eines Ortes Teil einer Firma, der es nur noch am entsprechenden Erscheinungsbild fehlt. Sie schweigt sich ebenso darüber aus, wessen Identität gemeint ist und wie sich heute personale und soziale Identität definieren läßt. Ohne der postmodernen Idiologie von der Multiidentität zu verfallen: Die Identität des Einzelnen ist extrem vermittelt und hochkomplex geworden und hat längst die Bezüge zum Ort hinter sich gelassen. So betrachtet, kann der kursierende Begriff >identitätsstiftend< als Symptom einer Krise verstanden werden. Es ist die Krise der Orte. Im Sog der Geschwindigkeit der technologischen Unifizierung, des globalen Waren- und Kommunikationszusammenhangs, der Nivellierung kultureller Unterschiede und ihres Übergangs ins Stadium der Folklore ereignet sich das Verschwinden der Orte. Kunst mit ihrem Drang zu Ortsbezogenheit und ihrem Interesse an Kartographie antwortet auf diese Krise. In diesem Zusammenhang ist auch Stephan Hubers Gran Paradiso zu sehen. Es ging als Sieger aus einem internationalen Wettbewerb hervor, der, wie kann es anders sein, im Ausschreibungstext zur »Identitätsstiftung« aufforderte. In einem Text, mit dem Huber seinen Entwurf begleitet, greift er ebenfalls auf die >Zauberformel< zurück. Wie geht Gran Paradiso mit dem Ort seiner Aufstellung um? Um was für einen Ort handelt es sich? Im Osten Münchens, auf dem Areal des ehemaligen Flughafens Riem, entstand das neue Messegetände der Stadt, das in Zukunft von einem Gewerbegebiet mit 13ooo Arbeitsplätzen und Wohnungen für 16ooo Personen umgeben sein wird, so zumindest will es die Planung. In Hochglanzbroschüren, mit denen die Stadt für den neuen Stadtteil wirbt, verweist sie nicht zuletzt auf den Alpenblick, der sich bei klarem Wetter für die Wohnungen in Randlage einstellen wird, ein Blick, der den meisten Münchnern verbaut ist, der aber auf Ansichtskarten und Postern suggeriert, die ins legendäre Föhnlicht getauchte Alpenkette erhebe sich am Rand der Stadt. Das westliche Vorfeld der Messe wird zusammen mit dem sich anschließenden Stadtplatz das Zentrum des neuen Stadtteils bilden. Es wird dominiert von einer ausgedehnten Wasseranlage, die sich nicht entscheiden kann, ob sie Becken oder künstlicher See sein will. Im Wasser vor dem Messeeingang, links und rechts der Anfahrtsstraße, plazierte Stephan Huber sein Gran Paradiso, auf der einen Seite die riesige Glasvitrine mit einer Neonkarte der großen Alpenflüsse, auf der anderen Seite das monumentale Regal mit Modellen der bizarrsten Alpengipfel. Mit Gran Paradiso inszeniert Stephan Huber ein sich seiner selbst bewußtes Theater des Ortes. Er (re)produziert den Ort der Aufstellung auf symbolischer Ebene, er hievt die Alpengipfel und Alpenflüsse auf die Bühne der Zeichen und stellt damit den Bezug zur Topologie Münchens als Stadt am Rande der Alpen her. Gleichzeitig setzt er kulturelle Traditionen der Region fort, die immer noch geprägt ist vom barocken, gegenreformatorischen Erbe und dem daraus resultierenden Hang zur materialen Ausschweifung und Theatratität. Dementsprechend kommt auch die Schaulust im Gran Paradiso auf ihre Kosten, wenn etwa bei einsetzender Dämmerung das Licht der Neonflüsse die Wasseroberfläche vor der Vitrine zunehmend blau färbt, oder wenn hinter den Alpen im Regal die Sonne in allen denkbaren Rotschattierungen untergeht. Mit dem Barock teilt Stephan Huber im Gran Paradiso die Lust an der Tautologie des Ortes. Doch wenn im barocken Theater etwa der Ort der Aufführung in ittusionistischer Vergegenwärtigung auf der Bühne erscheint oder sich das Portal der Hinterbühne öffnet, um die Realität in den Status der Bühne zu erheben, geht es gemäß der Devise »die Welt ist Schein« um das Oszillieren zwischen Illusion und Wirklichkeit. In Hubers Gran Paradiso hingegen gibt der >Bühnenmechanismus< seine Konstruktion preis - die Konstruktion dominiert das Konstruierte.Das Alpenpathos kollidiert mit dem Pathos der Konstruktion. Eine ironische Spannung entsteht. Sie wird verstärkt durch die Verkehrung, die das Kleine (Vitrine und Regal) groß und das Große (Berge und Ftüsse) klein erscheinen läßt. Um auf die Frage nach der >ldentitätsstiftung< zurückzukommen: Ohne Zweifel entzieht sich das Werk nicht unbedingt seiner Vereinnahmung durch die Messe. Das heißt, es trägt sogar durchaus zur >corporate identity< der Messe bei, insofern es die Messe durch den Verweis auf den Ort als Münchner Messe spezifiziert. Affirmative Züge ließen sich auch darin vermuten, daß das Gran Paradiso die Lektionen der Heimatkunde bestätigt und womöglich die Identität der Bewohner des neuen Stadtteils über die Landschaft definiert. Wer allerdings so argumentiert, verkennt den ironischen und selbstreflexiven Charakter von Stephan Hubers Paradies, der dann zutage tritt, wenn Vitrine und Regal nicht nur als funktionate Träger betrachtet werden, sondern auch als semantische Gebilde. Regale sind gewöhnlich Orte der Aufbewahrung, insofern wird Landschaft hier zu einer Art von >Heimat im Museum<. Vitrinen dienen der Zurschaustellung insbesondere auch zum Zweck des Verkaufes. Damit scheinen zwei Topoi auf, die den Warenzusammenhang und das Verschwinden der Orte mit der Topologie in Verbindung bringen. Das heißt, >identitätsstiftend< liefert das Gran Paradiso einen ironischen Kommentar zur >ldentitätstiftung<. Im Rückgriff auf Vitrine und Regal bemächtigt sich Stephan Huber der Werkzeuge des Museums und der Messe. In dialektischer und idealistischer Philosophie galt das Paradies als Ort, an dem Subjekt und Objekt noch ungeschieden waren. Gran Paradiso ist der Name eines Berges. Berge sind im Gegensatz zum verlorenen Paradies begehbar, was jedoch nicht bedeutet, daß sie die Spaltung von Subjekt und Objekt rückgängig machen. Stephan Huber stellt den Gran Paradiso ins Regal. Heinz Schütz |